Das Leben von David
David Bowie wurde als David Robert Jones im Januar 1947 in Brixton, London geboren. Seine Eltern hatten im Jahr 1946 geheiratet. Der Marketingleiter für ein Kinderhilfswerk und die Kellnerin sprachen nicht viel. Der als Kind schüchterne und höfliche David sagte in einem Interview im Jahre 1993: „Meine Kindheit war nicht glücklich. Nicht, dass es brutal zugegangen wäre, aber ich hatte eine ganz bestimmte Art britischer Eltern: Sie waren ziemlich unterkühlt, und man nahm sich nicht oft in den Arm.“ Nach dem Umzug in den Mittelklasse-Stadtteil Bromley im Jahr 1953 musste David als Vorzeigekind immer mit ordentlicher Kleidung und einem gepflegten Äußeren aufwarten. Das scheint mir ein bisschen wie üben für das spätere, sehr abwechslungsreiche stylische Auftreten Davids. Dass er verwöhnt war, mag zu seiner Selbstsicherheit beigetragen haben.
Hatte der Vater David mit Singles-Schallplatten an Musik herangeführt, so ging der ältere Halbbruder Terence „Terry“ Burns früh mit David in Konzerte. Terry wohnte ab 1947 mit im Haushalt. Er war rebellisch und emotional. David hat ihn sehr bewundert. Er machte David mit US-amerikanischen Beat-Poeten und mit Jazz bekannt. Bereits 13-jährig begann David Bowie Saxophon zu lernen, mit 15 Jahren im Jahr 1962 trat er erstmals auf. Als musikalisches Multi-Allround-Talent spielte Bowie auch Klavier/ Keyboard, seine 12-saitige Gitarre und sang. Als Musiker, Sänger, Produzent und Schauspieler beeinflusste Bowie fast 50 Jahre lang die Rock- und Popmusik. In den späten 1960er Jahren experimentierte er mit verschiedenen Medien, Kino, Pantomime, tibetanischem Buddhismus, Schauspielerei und Sex. Bowie sammelte vielfältige Erfahrungen als Sänger und Musiker in Bands wie z.B. den „Manish Boys“. Schließlich entschied er sich im Jahre 1966 für den Künstlernamen David Bowie („Bowie wie das Messer? Scharf! Sehr scharf sogar!“ (S. 45/6 )). So nannte er auch sein erstes Album ein Jahr später. Sein Talent als Song-Writer zeigte sich mit dem Song „Space Oddity“ im Jahr 1969, der es in die Charts schaffte. Zeitgleich lernte Bowie Angela Barnett kennen, mit der er nach London-Beckenham ins viktorianische Herrenhaus Haddon Hall zog. Im März 1970 heirateten sie, lebten aber eine offene Ehe. Bald wurde der Sohn Duncan Zowie Haywood Jones geboren. Bowie machte sich medial interessant, indem er sich z.B. androgyn in einem Kleid abbilden ließ und indem er seinen ausschweifenden Lebensstil zur Schau stellte – Drogen, Sex mit beiden Geschlechtern und Alkohol. In der Zeit 1972/73 machte Bowie eine Welttournee zum Album „The Rise and the Fall of Ziggi and [Begleitband] the Spiders from Mars“. Mehrfach zog er von Europa nach New York und zurück. Nach einem kalten Entzug von harten Drogen im Jahr 1976 in West-Berlin zog Bowie zwei Jahre später in die Schweiz. Dort wurde er im Jahr 1980 geschieden und erhielt das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn. Bowie lebte ab dem Jahr 1982 bei Lausanne. Er begann, auch publikumsfreundlichen Pop zu spielen („Let‘s Dance“, 1983). Nach der Heirat mit Fotomodel und Schauspielerin Iman Mohamed Abdulmajid im April 1992 zog Bowie letztmals nach New York. Ab dem Jahr 1999 lebten beide zurückgezogen in zwei Wohnungen in Soho. Tochter Alexandria Zahra Jones kam im August 2000 zur Welt. David Bowie starb im Januar 2016 an den Folgen von Leberkrebs. Seine Asche wurde in Bali verstreut.
Das Leben von Terry
Terence Guy Adair „Terry“ Burns war das im November 1937 geborene, uneheliche Kind von David Bowies Mutter mit dem jüdischen Franzosen Jack Isaac Rosenberg. Er wuchs als unehelich geächtet bei seiner gefühlskalten Großmutter auf. Im Jahr 1947 nahmen ihn seine nunmehr verheiratete Mutter und sein Stiefvater bei sich auf. Hatten die Eltern David verwöhnt, so behandelten sie Terry kühl oder ignorierten ihn sogar. Terry war klug. Schon als Jugendlicher war er mit Literatur und Musik gut vertraut. Er mochte wie David das Schreiben von Songs sowie kleine Auftritte in der Region. Während Bowies Karriere blühte, verbrachte Terry den Großteil seines Erwachsenenlebens in der Nervenklinik Cane Hill in South Croydon. Er hatte die Diagnose „Paranoide Schizophrenie“ (S. 124). Zeitweise entlassen, diente Terry in der „British Royal Air Force“ von November 1955 bis November 1958 in Ostasien. Terry heiratete in Croydon eine Mitpatientin aus Cane Hill. Bowie war nicht dabei. Das Paar lebte zeitweise mit in Beckenham, dann nahebei. Die Ehe scheiterte. Terry ging es schlechter. Er wurde wieder Vollzeitpatient in Cane Hill. Terry, so wurde später erzählt, sei ein gutaussehender, charmanter und beliebter Patient in Cane Hill gewesen. Er habe viel über David gesprochen und sei fröhlich singend durch die Stationen gelaufen. Er habe keine Probleme verursacht. Das ist bei innerlich oft getriebenen Schizophrenen eher ungewöhnlich, außer sie nehmen hohe Dosen Neuroleptika ein. Im Sommer 1982 brach er sich bei einem Fenstersturz mehrere Gliedmaßen. David besuchte Terry und schenkte ihm eine Stereoanlage und Schallplatten. Später, als eine Mitpatientin entlassen wurde, in die Terry verliebt war, entkam er im Januar 1985 bei Kälte und Schnee aus dem Krankenhaus. Terrys Fußweg zur Coulsdon South Station dauerte nur zehn Minuten. Der 47-Jährige stürzte sich vor den Zug. Die Beerdigung von Terence Burns mit ca. zwölf Besucher:innen verlief kühl, da Mutter Peggy und Tante Pat – sie hatte ihren Neffen oft in Schutz genommen – sich hassten. Auch hier war Bowie nicht anwesend. Er sandte eine kurze Notiz: „Du hast mehr Dinge gesehen, als wir uns vorstellen konnten, aber all diese Momente werden nun verloren sein, wie Tränen, im Regen fort gewaschen.“ (übersetzt: H.O.)
Respektvoll-interessierte Kontakte
In der Graphic Novel STARMAN taucht Terry mehrmals auf. David und Terry liebten einander sehr. Immer wieder hatten die Halbbrüder Kontakt. Sie hatten viele Ähnlichkeiten. Terry spielte David John Coltrane vor – David reagierte mit: „So will ich auch Saxofon spielen können.“ (S. 24) Terry wollte wie David aus der Enge der Familienverhältnisse entfliehen (S. 25). Er suchte mit David zusammen die Chislehurst Höhlen auf. Dort bot Terry ihm erstmals Benzedrin an („Sind harmlos. Nehmen die Rockstars auch.“, S. 41). David und Terry verstehen einander in diesem „Gefühl vom Alleinsein“, sogar Einsamsein, in dem nicht Wissen, „WER ich bin!“ (S. 63). Terry tröstet David, dass sein Vater immer alles gut gefunden habe, was er tat.
David Bowie wurde von seinem Manager vermittelt, dass Mensch als Künstler:in ein Image aufbauen und es durchziehen müsse. Mensch müsse diese Person SEIN (S. 91). Davids Suchen nach seinem eigenen Stil, nach der eigenen Persönlichkeit nimmt viel Raum ein und bleibt im Ergebnis dauerhaft wechselhaft. Die Wechsel in diesem Lebensabschnitt sind durch unterschiedliche Zeichenstile sehr gelungen dargestellt. David war „Hoffnungsgeber“ und „Rockmessias“ (beide S. 19). Als „Major Tom“ fliegt David ins All (S. 57-62). Text aus dem frühen Song „Space Oddity“ wird zitiert, dazwischen Sinnfragen: „Leere“, „ungesagte Worte“, Terry zieht sich „wunderlich“-werdend in sich zurück, die „Missachtung der Mutter“ (alle S. 60), der Wunsch nach neuen Schritten („nach den Sternen zu greifen und einer von ihnen zu werden“, S. 61). David wird zum „Prophet aus Licht, Schminke und Sex!“ Als „ZIGGY“ verkündet er „mit seiner Musik die Botschaft der Rettung der Menschheit“ (alle S. 72). Wie Terry sich zu einer „besondere[n] Aufgabe“ (S. 105) auserwählt fühlt, so hat auch ZIGGY eine „Mission“: Es gelingt, die Zuhörer:innen (sinnbildlich) zu retten (S. 109). Davids Identitätsprobleme kommen auf der Seefahrt von Los Angeles nach Japan mit Ehefrau Angela zur Sprache: Zwischen Messias-Sein für die einen und Geldesel für die anderen findet er sich selbst nicht mehr. Die Schifffahrt soll ihm Ruhe bringen (S. 119).
Während die Platte „Hunky Dory“ im Jahr 1971 entstand, hatte David „Angst um meinen Bruder“ (S. 87). Terry wohnte nach Entlassung aus Cane Hill mit in Haddon Hall. Beide sind zusammen im Garten (S. 89). Terry nimmt das angebotene Bier an, obwohl Alkohol sich laut Ärzten mit den Medikamenten nicht vertrage. Er fühlt sich im Song „All The Madmen“ sehr verstanden – als sei David auf seiner Station in Cane Hill gewesen! Der Austausch ist echt und nahe. Bei einem weiteren Besuch zuhause erzählt die Mutter David, dass Terry in den Chislehurst Höhlen gefunden, etwas von einer „Mission“ gefaselt habe und wieder nach Cane Hill gebracht worden sei. Als David Terry dort besucht, erwähnt Terry, David solle mal über Nacht bleiben, dann sei es genauso wie in dessen Song: Mensch wäre lieber bei den Verrückten als bei den Normalos (S. 125). Krankheiten des Geistes tauchen immer wieder als Thema in Bowies Werken auf. Er hatte Tanten mütterlicherseits („Vivienne“ und „Viktoria“, S. 124) mit psychischen Problemen. Eine von ihnen hatte sogar eine Lobotomie durchzustehen. David hatte wohl auch Angst, so verrückt zu werden wie Terry (S.138). Ein Zitat von 1975: „Jeder sagt: ‚Oh ja, meine Familie ist echt verrückt. Meine ist es wirklich.“ Später gesteht er Terry bei einem Anruf: „Wenn ich nicht auf der Bühne stehe, fühle ich nichts. Ich hab Angst, Terry! Ziggy frisst mich auf!“ (S. 140) Terry ist dem emotionalen Ansturm Davids nicht gewachsen und legt auf. David entwickelt das Image „Aladdin Sane“ (S. 142). Die Schallplatte mit diesem Namen war ein Wortspiel auf ‚Ein verrückter Typ‘ (‘A Lad Insane’). Es bezog sich auf David und seinen inneren Zustand im Jahr 1972 (er hatte gerade mit Kokain schnupfen begonnen) als auch auf seinen Halbbruder Terry.
Nach Terry Burns Selbsttötung nahm David Bowie das Lied „All the Madmen“ wieder in sein Tour-Programm auf. Der Respekt zwischen beiden Halbbrüdern wird deutlich, wenn David nach einem Besuch zu zweit bei einem frühen Cream-Rockkonzert in Bromley äußert: „Ich konnte es fast selbst sehen, weil er es so klar beschrieb.“ Da das Konzert zu laut für Terry war, mussten sie hinausgehen. Terry hatte eine Vision von sich auftuendem Boden, aus dem Feuer emporsteigt. Bowie verstand … und verwendete die Sequenz als „Riss im Himmel“ in seinem Song „Oh! You Pretty Things“ . Komische Eindrücke am Himmel, dass z.B. die Wolken von links nach rechts und zurück springen, kenne auch ich.
David Bowies familiäre zerrüttete Beziehungen finde ich gut dargestellt. Solch eine langfristig zugewandte Haltung wie zwischen diesen beiden Brüdern, mit gegenseitigen Anregungen, Akzeptanz und Wachstum, würde mensch sich als Betroffener häufiger wünschen! Mir gefällt auch, dass David sich nicht kleinkriegen lässt. Er kriegt auch die Drogen in den Griff. Mehr Akzeptanz und Zuwendung wünscht mensch sich gern auch von Eltern! Es scheint, dass David Bowie bei seinen Kindern die Erziehungsmuster der Eltern nicht wiederholte. Eine sehr gelungene optische Umsetzung! Diese Graphic Novel sollte in jedem Verband, der Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen umsorgt, vorgehalten werden!
Heike Oldenburg, Oktober 2022
Quellen:
Kleist, Reinhard, STARMAN – David Bowie‘s Ziggy Stardust Years, Farbgebung Thomas Gilke, Hardcover, 176 Seiten, vierfarbig, Carlsen, Hamburg 2022
https://www.quora.com/Did-David-Bowie-play-any-instruments?share=1
https://www.davidbowie.com/about
Zeitsprung: Am 16.1.1985 stirbt David Bowies Halbbruder Terry.
https://www.canehill.org/
Spannend! Danke, davon wusste ich nichts…
Der Artikel hat mir gut gefallen! Wirklich interessant und sehr empathisch geschrieben.
Toller Artikel! Ist außer mir noch jemandem aufgefallen, dass die Notiz, die Bowie zur Beerdigung seines Bruders geschickt hat, ein Zitat aus “Blade Runner” ist?