Autor:in: Volker Brinkmann

Interkulturelle Punchlines – Hip-Hop-Styles im Jugendtonstudio Bremen

Junge Musiker verschiedener Kulturen haben im Bremer Jugendtonstudio einen Ort, an dem sie ihre musikalischen Visionen umsetzen können. Es befindet sich im „Haus für unsere Freundschaft“. Bis zu 60 Nationalitäten treffen hier aufeinander.

Im Jahr 2009 hat Geschäftsführer Cemal Kocas das erste professionelle Tonstudio Deutschlands, welches auf interkulturelle Jugendarbeit ausgerichtet ist, eingerichtet. Bis zu einem Alter von 25 Jahren können Jugendliche diese Aufnahmemöglichkeit kostenlos nutzen. Sie tragen sich hierzu in einem Plan ein, so dass jede Woche einige Produktionen stattfinden.

Die junge Musikkultur wird in dem Tonstudio offensichtlich sehr ernst genommen – wie man an der professionellen Ausstattung erkennen kann. Diese ist beeindruckend: Auf 60 m² befinden sich u.a. zwei separate Aufnahmekabinen für Schlagzeug und Gesang. Die Musik wird in einem digitalen Mischpult ausgesteuert. Über einen PC werden die einzelnen Gesangsspuren abgemischt und gegebenenfalls mit Effekten verfeinert. Schallabsauger an den Decken sorgen dafür, dass möglichst kein Hall während einer Aufnahme entsteht.

Das Tonstudio besitzt eine sehr angenehme, einladende Atmosphäre. Recht zwanglos kann man den Aufnahmeprozess auf einer Couch verfolgen. Das professionelle Equipment lässt jedoch erkennen, dass in erster Linie dem Erstellen von hochwertiger Musik Rechnung getragen werden soll.

Die Bandbreite der musikalischen Genres, die hier vertreten sind, erstreckt sich von Reggae über Rock bis zu Hip-Hop. Ebenso wird Saz- (türkisches Saiteninstrument) und Klavierunterricht gegeben.

Freitags nachmittags wird die Hip-Hop-Session von Mervan, einem Student der Sozialen Arbeit, geleitet. Er ist 27 Jahre alt und kurdischen Ursprungs. Mervan erscheint mir als ein angenehmer, eloquenter Gesprächspartner. Er bringt seine musikalischen Erfahrungen bei der Musikproduktion ein. Auf YouTube kann man einige Videos von ihm sehen, die recht aufwendig produziert wurden.

Mervans Motivation in der Arbeit mit den jugendlichen Rappern ist deutlich spürbar. Diese würden es ihm allerdings auch leicht machen, da sie sehr freundlich seien. Bei der Produktionssession, die ich erlebe, hat er ein offenes Ohr für die Wünsche der Rapper und liefert selber gerne Verbesserungsvorschläge, um die Tracks zu perfektionieren. Und doch spielt er sich nicht in den Vordergrund, sondern agiert eher als empathischer Dienstleister.

Hip-Hop sei die Musik, die unter Jugendlichen am meisten gehört wird, so Mervan. Zudem sei sie leicht zu produzieren, „denn es geht schnell und man kann es direkt auf den Punkt bringen, was man möchte.“

Mervan sieht in dem Tonstudio einen Ort, der den Gefühlen der Jugendlichen ein Ventil bietet:  ‘Was soll ich denn draußen Scheiße bauen? Lieber komm‘ ich und mach Gangsta-Rap.’ Als Förderer hat Mervan die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen oftmals schon nach kurzer Zeit Fortschritte in ihrem Selbstbewusstsein machen können.

Die sprachliche Ausdrucksform der Rapper hat jedoch Grenzen: Beleidigungen in den Texten werden im Bremer Jugendtonstudio nicht geduldet.

Der gegenseitige Respekt, der im Bremer Tonstudio angestrebt wird, könnte vorbildhaft für die Bremer Rap-Kultur sein. Doch die Realität sieht in Mervans Augen anders aus: Die gegenseitige Missgunst unter den Rappern sei leider ein Bremer Phänomen.

Die Rap-Kultur ist eine Geschichte des Geschichten-Erzählens. Das Bremer Jugendtonstudio  bietet ein professionelles Umfeld, in welchem Jugendliche aus ihren Geschichten etwas fertigen können, was einen bleibenden Wert haben kann.

Einer dieser Geschichtenerzähler ist der Afghane Farward, 19 Jahre. Zusammen mit Mervan hat er die Beats für einen Track gebastelt. Zwischen den beiden ist eine nette und kollegiale, fast freundschaftliche Atmosphäre spürbar. Mervan spreche die Sprache der Jugendlichen, so Farward – er sei  „der Beste in Bremen“ und könne gut auf die Bedürfnisse der Musiker eingehen.

Farward hatte, bevor er vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland kam, eine zweijährige Odyssee über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich hinter sich. Teilweise verarbeitet er die gemachten Erfahrungen in seinen Texten. Er spricht mittlerweile so gut deutsch, dass er über seine Reise einen bewegenden, deutschsprachigen Rap verfasst hat. Mir imponiert, wie freundlich und respektvoll Farward auftritt. Ich habe den Eindruck, dass er gewillt ist, die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, zu nutzen.

Mittlerweile hat er sich in Bremen gut eingelebt. Wenn man mit ihm über Integration in Deutschland spricht, werden drei Säulen erkennbar, die ihm wichtig sind: Das Erlernen der Sprache, Arbeit und das Knüpfen von Kontakten. Die Sprache sei auch deshalb so wichtig, um sich gegenüber anderen Menschen zu positionieren und etwaige Vorurteile abzubauen.

Im Bremer Jugendtonstudio mache ich die interessante Erfahrung, dass das gemeinsame Produzieren von Musik ein weiterer Integrationsfaktor sein kann. Die Herkunft der Protagonisten scheint hier eine nachrangige Bedeutung zu haben – primär geht es um Musik.

Farwards Rap-Sprache ist normalerweise die persische. Obwohl diese Sprache einem Mitteleuropäer naturgegeben eher nicht geläufig ist, gelingt es ihm, Stimmungen und Emotionen zu transportieren, die für mich als Hörer authentisch erfahrbar werden. Es erstaunt, wie die Rap-Skills so vermittelt werden können, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob die Textinhalte verständlich sind. Als Deutscher Rap in einer Sprache zu hören, die man normalerweise nicht gewohnt ist, hat für mich etwas sehr Erfrischendes.

Die Subgenres des Hip-Hops sind vielfältig: Manch einer singt über Liebe, ein anderer übers Feiern. Farward jedoch möchte in seinen Texten auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen.

Um über den Zeitraum eines Aufnahmeprozesses in einen „Flow“ zu kommen, bedarf es der notwendigen Technik und Hingabe. Der „Flow“ ist bei einer musikalischen Darbietung generell wichtig. Farward verfügt offenbar über diese Kompetenzen. Dass er ein emotionaler Mensch ist, wie er selbst betont, hilft dabei sicherlich.

Natürlich gelingen die Gesangsaufnahmen nicht immer beim ersten Take. Geduldig wird Gesangsspur für Gesangsspur aufgenommen, bis die Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Bei der Postproduktion der Aufnahme wird der interkulturelle Aspekt des Bremer Jugendtonstudios abermals deutlich: Es ist ein Miteinander – sowohl Farward und Mervan geben Anregungen (z.B. beim Einbauen von Effekten), die bestmöglich umgesetzt werden.

Nach ca. zwei Stunden ist die Produktion abgeschlossen. Ich bin beeindruckt, dass der fertige Track eine Soundqualität hat, die mit teureren Aufnahmen durchaus mithalten kann.

Am Ende einer Rap-Session können sich die Jugendlichen ihre Aufnahme auf einen USB-Stick ziehen. Und so schließt sich ein Kreis: Jugendliche verschiedenster Kulturen bringen ihre individuellen Fähig-keiten ein, um etwas zu erschaffen, was sie wiederum mit der Welt teilen können. Interkulturell wertvoll.