Die Zwielicht-Redaktion stellte Moderator Herrn Karl Heinz Schrömgens (Präsident der Psychotherapeutenkammer) ein paar Fragen zur Veranstaltung und speziell zur häufig erwähnten Änderung der Psychotherapie-Richtlinie.
Ist Psychatrie 2.0 ein Treffen, eine Selbstdarstellung, eine Positionierung, oder gehen Therapeuten und sogenannte Vertreter des Volkes aufgrund solcher Veranstaltungen konstruktiver in Handlung? Warum gibt es keinen Rückblick auf die vorangegangene Veranstaltung?
Meines Wissens veranstaltet das Gesundheitsressort die Veranstaltungsreihe Psychiatrie 2.0 mit dem Ziel, inhaltliche Anregungen für eine Reform der psychiatrischen Versorgung in Bremen zu bekommen. Entsprechend gibt es wechselnde Themen. Aus dieser Anlage heraus ergibt sich nicht zwingend, dass eine nachfolgende Veranstaltung sich unmittelbar auf die davor gelegene beziehen muss.
Welchen Beitrag hat diese Veranstaltung zur Entwicklung in der Psychiatrie?
Die Veranstaltung im vergangenen November hatte den Titel „Psychotherapie in der Psychiatrie – Vom Stiefkind zum Wunschkind?“ Ziel dieses Nachmittags war, die Rolle der Psychotherapie in der Psychiatrie zu beleuchten. Dies vor dem Hintergrund, dass Psychotherapie in allen gängigen Leitlinien empfohlen wird, aber oft in der Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen – insbesondere in der stationären Versorgung – nur unzureichend angeboten wird. Zu häufig wird auf die Vergabe von Psychopharmaka als Alternative vertraut, obwohl, wie der Beitrag von Dr. Gonther darlegte, eine zielgenaue Wirksamkeit oft nicht gegeben ist. Die Vorstellung von innovativen Konzepten in der stationären und ambulant integrierten Versorgung diente dem Ziel, Anregungen für Veränderungen in Bremen zu geben.
Wie sehen Sie als ambulanter Vertreter die Vernetzung mit den Kliniken, was kann verändert werden?
Die Veranstaltung selbst diente nicht dem Ziel der Vernetzung, obwohl natürlich solche Gelegenheiten auch die Möglichkeit zum persönlichen Kennenlernen und zum Austausch untereinander bieten. Die Vernetzung ambulant tätiger PsychotherapeutInnen und den Kliniken in Bremen ist sicherlich verbesserungsbedürftig. Erst Ende Januar hat die Psychotherapeutenkammer einen Workshop zur Krankenhauseinweisung durchgeführt, an dem die Chefärzte der psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Stationen in Bremen teilgenommen haben. Im Rahmen dieser Veranstaltung, die von ca. 90 niedergelassenen PsychotherapeutInnen besucht wurde, wurden auch die Defizite in der gegenwärtigen Zusammenarbeit diskutiert und Möglichkeiten der Verbesserung aufgezeigt.
Zur Änderung der Psychotherapie-Richtlinie: Wie war es möglich, dass die Änderung stattfinden konnte – welchen Anteil haben die Therapeuten daran?
Wichtige Änderungen wie die „Psychotherapeutische Sprechstunde“ gehen auf Vorschläge der Psychotherapeutenschaft zurück. Wir hätten uns weitere Verbesserungen vorstellen können, wie z.B. verbesserte Koordinierungs- und Kooperationsmöglichkeiten. Auch von Seiten der PatientenvertreterInnen wurden Vorschläge eingebracht, wie z.B. die Einführung von vorgeschriebenen Zeiten für die telefonische Erreichbarkeit. Gleichzeitig setzten sich auch Verschlechterungen durch, wie die unsinnige Aufteilung der Kurzzeittherapie in zwei Hälften zu 12 Stunden. Dafür tragen die Krankenkassen die Verantwortung.
Wie ist die Umsetzung, können Therapeuten eigentlich noch effizient arbeiten trotz mehr Aufwand, mehr Klienten?
Aus meiner Sicht haben die KollegInnen die neuen Möglichkeiten, die die Sprechstunde bietet, gut angenommen. Hilfesuchende erhalten jetzt schneller einen ersten Termin beim Psychotherapeuten. Betont werden muss an dieser Stelle aber, dass sich die Behandlungskapazitäten durch die Änderungen nicht erhöht haben. Im Gegenteil, durch das verpflichtende Vorhalten von ein bis zwei Sprechstunden in der Woche steht weniger Zeit für psychotherapeutische Behandlung zur Verfügung.
Sind die Wartezeiten für die Patienten tatsächlich kürzer geworden?
Wartezeiten auf einen ersten Termin gibt es praktisch nicht mehr. Ein solcher kann in der Regel innerhalb von 14 Tagen vergeben werden. Der Vorteil für die Patienten liegt darin, dass sie frühzeitig eine Orientierung bekommen, ob eine Psychotherapie erforderlich ist oder andere Hilfsangebote in Anspruch genommen werden sollten. Die Richtlinien-Änderung hat die Behandlungskapazität nicht erhöht. Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten gibt es dadurch, dass Psychotherapeuten über die Aufteilung ihrer Kassensitze in zwei halbe Sitze ihre Kapazitäten besser ausschöpfen. Zunehmend nutzen mehr KollegInnen Job-Sharing in ihren Praxen. Auch dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Behandlungsmöglichkeiten. Allerdings fielen auf Druck der Kassenärztlichen Vereinigung und des Zulassungsausschusses allein im Jahr 2017 ca. 10 volle psychotherapeutische Kassensitze weg und stehen dauerhaft der Versorgung nicht mehr zur Verfügung.
Sind Akutbehandlungen wirklich gewährleistet?
Akutbehandlungen stellen eine neue niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeit dar. Sie dienen der Entlastung von akuter Symptomatik und sind auf deren kurzfristige Verbesserung ausgerichtet. Sie dienen der Besserung bei akuten psychischen Krisen- und Ausnahmezuständen. Mit ihnen ist keine umfassende Bearbeitung der zugrundeliegenden Einflussfaktoren der Erkrankung verbunden. Vielmehr sollen sie bei der Vermeidung von Chronifizierung und Krankenhauseinweisung helfen. Sie stehen im Dienste einer vorläufigen Stabilisierung, so dass nachfolgend andere Maßnahmen empfohlen werden können. Sie müssen bedenken, dass die Durchführung von Akutbehandlungen zu Lasten einer regulären Psychotherapie geht und umgekehrt. Insofern ist es ein Null-Summen-Spiel. Soll Akutbehandlung einen höheren Stellenwert in der Versorgung bekommen, muss über zusätzliche Anreize nachgedacht werden.