Autor:in: Dirk Wahlers

Kritik Tatort „Gefangen“ vom 17.05.2020

Das beliebte deutsche Fernsehkrimiformat „Tatort“ nimmt sich der Psychiatrie an. Was wird uns da erzählt? Eine Kritik mit psychiatrischem Blickwinkel aus der Zwielicht Redaktion. Vorsicht Spoiler!
Am 17.05.2020 wurde der aktuelle Kölner Tatort „Gefangen“ erstmals ausgestrahlt. Da er von einem Mord im Psychiatrie-Milieu handelt, lohnt es sich, etwas genauer darauf zu schauen. Die Story hat einige Ungereimtheiten und viele Dialoge klingen ziemlich hölzern, doch das soll hier nicht das Thema sein. Es geht eher darum, das Bild psychischer Krankheit und des psychiatrischen Hilfesystems zu beleuchten, das in diesem Film ausgestellt wird.

Die Polizisten: Die Polizisten sind natürlich die Helden des Films. Einer der beiden Ermittler leidet unter so etwas wie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat (wohl in einer vorigen Folge) eine Kollegin erschossen. Die begegnet ihm nun die ganze Zeit und redet auch mit ihm. Er reagiert auf die Erscheinungen der Toten damit, dass er seine Stirn runzelt und recht schweigsam ist. Er haut sich dann aber so richtig in die Arbeit rein und dann wird das alles besser. Er redet dann sogar mit der Polizeipsychologin. So einfach ist das.

Die Ärzt*innen: Der Oberarzt, der ermordet wurde, war ein mieser Vergewaltiger und Erpresser. Er nutzte seine Machtstellung einer Patientin gegenüber aus und vergiftete sie mit falschen Medikamenten, die sie erst richtig verrückt machten. Die zweite auftretende Ärztin steckt mit dem Oberarzt unter einer Decke. Aus Karrieregründen beteiligt sie sich an der Intrige.

Die Angehörigen: Die Angehörigen sind in ein gemeines Komplott verstrickt. Sie erpressen den Oberarzt der Klinik, damit ihre Schwester bzw. Schwägerin in der geschlossenen Abteilung festgehalten wird und sie sich ihr Kind unter den Nagel reißen können.

Die Pfleger: Im Film tritt nur ein Pfleger auf. Der ist ein sexuell Perverser, der sich von der Mörderin ausnutzen lässt und sich schließlich suizidiert. Seine Arbeit bestand aber auch zum größten Teil darin „Frau Doktor! Frau Doktor!“ zu rufen.

Die Patient*innen: Die Patient*innen sind auf den ersten Blick als psychisch erkrankt zu erkennen. Ihre Hauptfunktion scheint es zu sein, in der Gruppentherapie zu sitzen, damit die Polizisten die Ärztin dort herausholen können. Ein Patient ist aufmüpfig und beschimpft die Polizisten. Eine andere poliert einen Gummibaum, irgendjemand spielt beständig gegen sich selbst Tischtennis. Für den Fortgang der Handlung sind sie völlig überflüssig. Die Patient*innen in der Klinik werden zu bloßen Ornamenten, die die Szenerie bunter gestalten.

Die verrückte Mörderin: Bis jetzt sind das ja schon Intrigen und Komplott satt, doch das kriminelle Mastermind ist natürlich die Psychiatriepatientin, die von Erpressern in der Klinik festgehalten wird. Sie hat seit dem Tod ihrer Eltern in der Jugend eine Borderline-Erkrankung und nach einer Schwangerschaft die Diagnose „schizophrene Psychose“, die ihren Aufenthalt auf der geschlossenen Station der Psychiatrie begründet. Sie spielt ganze Zeit etwas vor und es gelingt ihr, fast alle Menschen in ihrem Umfeld geschickt zu manipulieren. Von ihren psychiatrischen Erkrankungen ist nichts zu erkennen. Auch der massive Psychopharmaka-Einsatz scheint keine Nebenwirkungen zu zeigen. Sie ist schon irgendwie Opfer und zu Unrecht in der Psychiatrie eingesperrt. Vor allem aber ist sie gefährlich, raffiniert und gehört weggeschlossen.

Die Klinik: Was ist das für eine Klinik? Wer entlässt eine Patientin nach einem Jahr auf der geschlossenen Abteilung ohne Abschlussgespräch? Warum kann der Polizist seine Waffe mit auf die geschlossene Station nehmen? Warum gibt es keine offene Station sondern nur „Tagespatienten“ und „Patienten auf der Geschlossenen“?

Gefangen: Der Titel „Gefangen“ bezieht sich einerseits auf die Situation in der psychiatrischen Klinik andererseits auf das „Gefängnis im Kopf“. Damit ist wohl der posttraumatische Polizist gemeint. Gefangen erscheinen jedoch in erster Linie die Macher*innen des Films. Sie sind gefangen in Klischees und stigmatisierenden Zuschreibungen. Wenn ein populäres Format wie der „Tatort“ sich dem Thema psychischer Erkrankung widmet, wäre es wünschenswert, hier einfühlsam vorzugehen und nicht nur Ängste zu schüren und Vorurteile zu zementieren. Etwas Realismus wäre nebenbei auch nett.

Aufruf: Liebe Fernsehmacher, bevor Ihr weiter fragwürdige Filme macht über Themen von denen Ihr eher wenig Ahnung habt, fragt uns doch. Wir haben geballte Psychiatrieerfahrung und denken seit Jahren über diese Themen nach. Die Zwielicht-Redaktion ist jederzeit bereit da Hilfe zu leisten und Expertise beizusteuern. Wir helfen wirklich gern!

Hier kann man den Film noch bis zum 17.11.2020 sehen:
https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/videos/gefangen-video-100.html