Autor:in: Andreas Roemer

Music Tasking – To Say Goodbye To K. B. –

Zeitenwechsel erfordern Kompromiss – und Opferbereitschaft.
Als der Musiktherapeut des Klinikums Ost nach ca. 25 Jahren seinen Arbeitsplatz freimachte, wäre die Bühne für die ebenfalls langlebige MT-„Vorzeige“-Band einfach leer geblieben, wären nicht die „Hinterbliebenen“ konfliktbereit in diese Bresche gesprungen. Ich war zugegen und durfte lernen, was Multitasking für einen „ehrenamtlich“ praktizierenden  Idealisten bedeutet.

 

WOMIT BEGINNT DIE HANDLUNG ?

Wir befinden uns zu Beginn unseres lang ersehnten traditionellen Sommerfestes vor dem Gesellschaftshaus im Klinikum Bremen-Ost. Wir sind: Jene „legendäre“ Band, welche bereits seit 15 Jahren das alljährliche Sommerkonzert bestreitet. Das klingt sehr beachtlich. Weniger rühmlich ist die Tatsache, dass diese lange Tradition nicht von einem Stamm treuer Bandmitglieder, sondern vermutlich lediglich auf den therapeutischen Auftrag des in Ost tätigen Musiktherapeuten K.B. zurückzuführen ist. Folglich gilt es heute unter anderem, dem erstmalig abwesenden K.B. (denn er ist in Rente gegangen) zu zeigen, dass es auch ohne K.B. geht.
Zumindest geht es mir so, denn ich werde das sich einschleichende Gefühl nicht los, ihn in irgendeiner Weise vertreten zu müssen. Dies hätte auch schon fast dazu geführt, K.B. in seiner vorjahresmäßigen Rolle als Schlagzeuger ersetzen zu wollen. Gott sei Dank hat mich die diesbzgl. anzusprechende Maltherapeutin (welche noch lange nicht in Rente ist) überzeugt, diese Stelle unbesetzt zu lassen. Zur Not hätte ich ja die mit dem Fuß zu betätigende Basstrommel unter mein Keyboard stellen können.
Zu spät, der Auftritt ist bereits im Gange und wir stehen hier – immerhin als 3 Multitalente – als fleischgewordene Zeitprodukte zunehmender Zwangsrationalisierungsmaßnahmen, multiplen Raum- und Zeitgeschehens. Ich trete ans Mikrofon, da fällt mir ein, dass ich bei dem Eingangsstück ja auch die Trommel rühren sollte, also gleichzeitig ans Mikro, um dort hineinzusingen und die Trommel muss zwischen die Beine geklemmt werden – aber halt: der Mikroständer muss ja doch näher an den Notenständer herangezogen werden (noch habe ich dazu eine Hand frei) und zwar so, dass ich beim Singen und Trommeln (wofür ich mich nach links drehe, um den Klang der Trommel ins Publikum zu richten) auch die Stichworte im Text (den ich mir partout nicht merken kann) in mein Blickfeld integriere!
Nun reißt aber leider schon mein Geduldsfaden (liegt wohl an den zähen Vorbereitungen seit morgens, denn heute treten wir im Freien auf!). Ich singe mechanisch, und ich trommle mechanisch. Nach altbekannter Sängermanier tue  ich so, als drohte ich, schier das Mikro zu verschlingen, während ich nach hinten den Arsch raus schiebe.
Nach etwa einer halben Stunde stellt sich ein Gefühl ein zwischen Verkrampfung, Ärger, Isolation und … scheißegal. Zermürbend und bedrückend. Da ich ans Keyboard gewechselt habe, drücke ich sehr viel an Knöpfen herum. Heißt das denn noch Musizieren? Ich bin doch nur noch am funktionieren. Wollte ich nicht während des Musizierens tiefe Empfindungen hegen und nicht nur davor oder evtl. wieder danach? Nein, so gesehen musiziere ich eigentlich gar nicht mehr. Ich bin also bestenfalls ein funktionierender Musiker und gleichzeitig Klangsteuerer und Zubehörassistent. Früher wäre ich sehr stolz gewesen, derart multipel zu agieren. Ja, noch bevor das Multitasking in Mode gekommen ist, konnte ich mich bereits insgeheim damit brüsten, an mehrere Dinge „gleichzeitig“ zu denken, zu kontrollieren. Während sich der „guitar hero” von vorgestern noch auf die ständige Begleitung seines Managers und dessen Helfershelfer verlassen konnte, muss das Multitalent von heute schlichtweg seinem Rufe gerecht werden. Es gibt sich nicht mehr seiner Leidenschaft hin, sondern es funktioniert vollkommen. Auch ich tue das nun endlich, nach vielen missglückten Anläufen.
Da wird dem wohlwollenden Zuruf „der Gesang muss lauter“ schon mal sehr ignorant entgegengetreten mit „wir müssen jetzt aber weitermachen“. Eigentlich schade, es gab noch Zeiten, da konnten wir darauf noch Rücksicht nehmen.
Kurzum, ich bin überhaupt nicht mehr stolz darauf, ein Multitasker zu sein. Außerdem hat das heutige Publikum wohl nicht die leiseste Ahnung davon, was hinter den Kulissen passiert.
Geschweige denn, es zu schätzen. (Denn hier machen ja streng genommen Kranke Musik für Kranke). Viel eher noch wissen sie, die heiße Sonne und die heißen Würstchen zu schätzen, als das, was auf der Bühne real abgeleistet wird. Dabei tun wir‘s doch für die Ideale!
Schöner zweistimmiger Gesang, melodische Feinheiten und rhythmische Feinheiten.
Und überdies soll das Ganze noch gut ins Ohr gehen. Tut es aber nicht so ganz, denn die Anlage ist heute ein absoluter Notbehelf. Das erhoffte Wunder ist ausgeblieben und aus der Asche des verbrannten Musiktherapieraumes des Klinikum-Ost ist bislang noch kein Phoenix emporgestiegen. Also müssen wir selbst leibhaftig dieser Phoenix sein, wir sind ja der standhafte Überrest der legendären „Soul Defender“.

Und so halten wir diese Odyssee von sturmgepeitschten Zeltplanen, flatternden Notenblättern und verzerrten Lautsprecherklängen tapfer durch und werden mit wohlwollendem Applaus nach einer Stunde Spielzeit endlich aus unserer Pflicht entlassen.

Wer sind wir eigentlich? Drei übriggebliebene Individualisten!
Jeder kämpft letztendlich für seine eigene Überzeugung!
Wie lange noch? Wird man uns nächstes Jahr noch brauchen?
Zum „…zigsten“ Male beim Sommerfest vor dem Gesellschaftshaus?
Hoffentlich werden unsere offenbar sehr besonderen Talente bis dahin doch noch erkannt!