Autor:in: Dirk Wahlers

Psychiatrie im Bremer Koalitionsvertrag

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Am 3. Juli 2023 unterzeichneten die Parteien SPD, Die Grünen und die Linke im Bundesland Bremen einen für die nächsten vier Jahre gültigen Koalitionsvertrag. Hier werden die Rahmenlinien und Ziele für die Regierungsarbeit festgelegt. Für das Thema Psychiatrie zeichnet das Ressort Gesundheit verantwortlich. Das wird wie in den letzten Jahren von Claudia Bernhard geleitet. Aber was steht im Koalitionsvertrag zur Psychiatrie? Ein Versuch die Inhalte einzuordnen:

Der entsprechende Abschnitt ist mit „psychiatrische und psychosoziale Gesundheit überschrieben“. Zuerst werden die grundlegenden Ziele verdeutlicht. Richtlinien sind hier: Verbesserung der psychiatrischen Versorgung, moderne stationäre Versorgung, Drehtüreffekte verhindern, eine auf Kontinuität angelegte therapeutische Beziehung und behutsamer Einsatz von Medikamenten. Soweit so gut. Doch was bedeutet das im Einzelfall? Hier kommen die konkreten Vorhaben:

Die Weiterentwicklung der Psychiatriereform hat zum Ziel eine wohnortnahe psychiatrische Versorgung sicherstellen und die gemeindepsychiatrischen Verbünde zu stärken. Besonderes Augenmerk gilt den Menschen mit sogenannten Doppeldiagnosen (kognitive Beeinträchtigung und psychische Erkrankung, Suchterkrankung und psychiatrische Erkrankung). Zudem wird ein Schwerpunkt auf „Angebote für psychisch kranke Kinder und Jugendliche“ gelegt. Der gemeindepsychiatrische Schwerpunkt ist begrüßenswert. Auch besondere Erwähnung von Menschen mit Doppeldiagnose ist positiv zu bewerten. Diese Personen fallen oft durch das Raster und es ist schwer passgenaue Angebote zu finden. Die Ausweitung der Angebote für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche ist überfällig. Hier hat sich eine Kluft zwischen Angebot und Bedarf gebildet, die es zu schließen gilt.

Jetzt wird es konkret: „Die Koalition wird den Krisendienst des Sozialpsychiatrischen Dienstes zu einem 24/7-Krisendienst (…) ausbauen, um die Akuthilfe bei psychischen Krisen zu verbessern und stationäre Einweisungen möglichst zu verhindern. Dieser soll in allen Stadtteilen gut erreichbar und primär aufsuchend arbeiten.“ Hier ist eine wichtige und dringende Verbesserung der Versorgung zu erwarten. 2016 wurde der 24stündige Krisendienst in Bremen eingestellt. Es ist notwendig und sinnvoll diesen Fehler zu korrigieren und eine aufsuchende zeitgemäße Krisenversorgung in Bremen zu etablieren. Derzeit liegt die Gefährdungsbeurteilung gerade in den Nachtstunden bei der Polizei. Gerade auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das ein ehrgeiziges Projekt.

Der nächste Punkt ist der Aufbau einer „hochstrukturierten Unterbringungsform“ für „chronisch psychisch kranke Menschen mit Selbst- und/oder Fremdgefährdungspotential“. Dadurch soll „eine Rückkehr in die gewohnte Lebensumgebung“ ermöglicht werden. Derzeit werden solche Menschen meist außerhalb Bremens untergebracht. Mit „hochstrukturierter Unterbringungsform“ ist ein geschlossenes Heim gemeint. Das widerspricht natürlich gemeindepsychiatrischen Grundsätzen. Wenn der Bezug auf die gewohnte Lebensumgebung gegeben sein soll, kann das nur funktionieren wenn in enger Abstimmung mit den gemeindepsychiatrischen Trägern agiert wird. Geschieht dies nicht und die Wohnform gestaltet sich nicht durchlässig, ist es nicht unbedingt entscheidend, ob das Haus in Bremen oder Niedersachsen steht. Offensichtlich besteht ein Bedarf für solch ein Heim, da der Psychiatrie (noch) alternative Lösungsmöglichkeiten zur Unterstützung der betroffenen Personen fehlen.

Der nächste Punkt bezieht sich auf „obdachlose Menschen mit psychischen und/oder Suchterkrankungen“. Hier soll nach einem stationären Aufenthalt die Zusammenarbeit zwischen Kliniken und der Fachstelle Wohnen verbessert werden, damit die Patient:innen nicht in die Obdachlosigkeit entlassen werden. Der Punkt bedarf keiner weiteren Erläuterung sondern sollte selbstverständlich sein.

Jetzt wird es wieder allgemeiner die „etablierten Elemente“ Open Dialogue, Trialog und der Einsatz von Genesungsbegleiter:innen sollen in den Kliniken weiter gestärkt werden.

Der nächste Punkt hingegen ist kontrovers: Im Maßregelvollzug sollen weitere Kapazitäten geschaffen werden. Einerseits ist der Maßregelvollzug, die Bremer Forensik, überbelegt und unterbesetzt. Der Bedarf ist also gegeben. Allerdings steht der Maßregelvollzug als Institution massiv in der Kritik, bis hin zu Forderungen der Abschaffung. (Die Diskussion wird von Volker Althoff in einem Artikel im kommenden Zwielicht erläutert werden.) Solange aber keine konkret umsetzbaren Alternativkonzepte zur Verfügung stehen, ist ein Ausbau unumgehbar.

Vielleicht knüpft der letzte Punkt hier an: „die therapeutische Versorgung von behandlungsbedürftigen Straf- und Untersuchungshäftlingen in den Justizvollzugsanstalten“ soll „sichergestellt“ werden. Dass psychisch erkrankte Menschen im Strafvollzug ein Recht auf angemessene Behandlung und Versorgung haben, sollte unstrittig sein. Bezeichnend ist, dass hier „sichergestellt“ geschrieben wird und nicht verbessert. Um die jetzige Situation in diesem Feld muss schon sehr schlecht bestellt sein.

Große Innovationen sind aus den verabredeten Zielen der Koalition nicht herauszulesen. Der eingeschlagene Weg soll weiter verfolgt werden. Viele der Vorhaben haben das Ziel in der Beseitigung oder zumindest Verbesserung eklatanter Mängel im Versorgungssystem. Hier ist vor allem der geplante Ausbau des Krisendienstes zu begrüßen. Der Fokus liegt eher bei den Institutionen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. An der Umsetzung dieser Ziele werden sich Gesundheitssenatorin und Koalition messen lassen müssen. Budgetknappheit und Fachkräftemängel stellen große Herausforderungen dar.

Der gesamte Vertrag ist hier einsehbar:
https://gruene-bremen.de/wp-content/upl … _final.pdf

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