Autor:in: Volker Althoff

Möglichkeiten bei der Reduzierung und beim Absetzen von Psychopharmaka

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Das Interesse an der Informationsveranstaltung zu Reduzierung und Absetzung von Psychopharmaka, die in der Tagesstätte Villa Wisch des Arbeiter Samariter Bund (ASB), Seelische Gesundheit gGmbH im Bremer Osten, am Mittwoch, den 8. März stattfand, war sehr groß. Viele Besucher:innen, Mitarbeiter:innen aus dem betreuten Wohnen des ASB und andere Gäste waren gekommen, um Katrin Rautenberg aufmerksam zuzuhören. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie des AMEOS-Klinikums Bremen zeigte Wege auf und skizzierte Schritte und Methoden der Reduzierung und des Absetzens. Denn der „Wunsch wieder ohne oder mit weniger Psychopharmaka zu leben, kommt bei fast jedem Menschen auf, der eine seelische Krise mithilfe oder trotz dieser Substanzen überstanden hat“, heisst es wörtlich in einem Aufsatz von Katrin Rautenberg, den sie in der Zeitschrift „Soziale Psychiatrie“ (02/2022) veröffentlicht hat. Darin schreibt sie weiter, dass die Motivation häufig vorliegt, „sich wieder so zu spüren, wie man wirklich ist, sich als sich selbst zu erleben ohne chemische Einflüsse. Oder es treten Nebenwirkungen auf, die nicht weiter toleriert werden können. Menschen haben das Gefühl, die Substanzen wirken nicht mehr oder nicht so wie geplant. Es treten trotz Medikation seelische Krisen, Psychosen oder Depressionen auf“.

Seit 25 Jahren arbeitet Rautenberg in der Psychiatrie und ist Leiterin der Institutsambulanz an der AMEOS-Klinik in Bremen. In ihren Vortrag stieg sie mit den Worten ein, „dass man mit dem Thema Medikamentenreduktion relativ früh in Kontakt kommt“. Im ambulanten Bereich nehme es immer mehr an Bedeutung zu und besonders an der AMEOS-Klinik beschäftigen sich die Fachärzt:innen intensiv damit. Die Grundlage für eine Reduzierung und ein Absetzen sieht Rautenberg darin, „dass die Zulassungen für Psychopharmaka häufig sehr spezifisch sind, die Wirkung ist jedoch unspezifisch. Die Medikamente werden als spezifisch beworben, halten aber nicht was versprochen wird“. Die These, dass eine Depression eine Serotoninmangelerkrankung sei, ließe sich nicht belegen. „Bei einer Psychose wirken Neuroleptika zum Beispiel nicht, sie dämpfen nur und führen zu unangenehmen Gefühlszuständen. Studien zeigen zudem, dass die Dämpfung eine Genesung behindert, was sowohl für Neuroleptika als auch für Antidepressiva gilt“, erklärte Rautenberg weiter. Bei langjähriger Einnahme von Psychopharmaka sei der Weg des Absetzens sehr schwierig, betonte die Psychiaterin. „Das kann man nicht in einem oder eineinhalb Jahren schaffen. 60 Prozent der Betroffenen erleben Absetzsymptome wie Angst, Unruhe oder Schlafstörungen“, machte Rautenberg deutlich.

Ein wichtiger Punkt ist die Krisenbewältigung: „Man muss sich erstmal bewusste machen, was eine Krise bedeutet. Und wenn man sich darüber im Klaren ist, kann man Bewältigungsstrategien finden und Krisenpläne aufstellen“, erläuterte Rautenberg. „Sich über die eigenen Motivation auf dem Weg zur Reduktion klar zu werden, ist der erste wichtige Schritt“, schreibt die Psychiaterin weiter in ihrem Aufsatz. Jedes Milligramm an Reduktion sei wertvoll. Viele Menschen hätten jedoch Angst, rückfällig zu werden und in eine schwierige Krise zu kommen, hat mal eine niedergelassene Psychiaterin zu ihr gesagt.

Eine Faustregel beim Reduzieren von Medikamenten lautet: 5 bis 10 Prozent der Ausgangsdosis alle 6 bis 8 Wochen.
Die Institutsambulanz der AMEOS-Klinik bietet neben Einzel- oder Netzwerkgesprächen durch das multiprofessionelle Team (Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Genesungsbelgeiter:innen, Kunst- und Theatertherapeut:innen) auch eine halboffene Gruppentherapie zur Vorbereitung und Begleitung des Reduktionsprozesses an. Und falls es im Reduktionsprozess belastendere Krisen, Stillstände oder erhebliche Ängste vor dem nächsten Absetzschritt gibt, kann auf die stationäre oder teilstationäre Aufnahme in der Klinik zurückgegriffen werden.
„Neben den konkreten Fragen zur Medikation (Welches Medikament setzte ich zuerst ab? Oder sollte vorher noch auf ein anderes Medikament gewechselt werden, das leichter abzudosieren ist? In welchen Dosierungsschritten und welchen Zeitabständen?) halten wir es für wichtig, sich darüber klar zu werden, dass die Stütze Medikation durch alternative Stabilisatoren ersetzt werden sollte, die aber gegebenfalls noch aufgebaut und zusammengestellt werden müssen“, sprach Rautenberg in der Diskussionsrunde an.
Dazu bietet die Institutsambulanz in der Begleitgruppe verschiedene Themen an, da alternative Stabilisatoren sehr individuell sein können. Ein Notfallplan und die Miteinbeziehung des sozialen Netzes und insbesondere der Angehörigen werden in der Gruppe besprochen. Es werden, teilweise durch Gäste, Themen eingeführt wie Ernährung, naturheilkundliche Ansätze zur Behandlung von psychischen Symptomen, Bewegungspläne, Entspannungstechniken, die Regulierung des Schlafes, Austausch über spirituelle Dimensionen oder Persönlichkeitsentwicklungsmodelle und sinnstiftende Tätigkeiten. Aber auch psychotherapeutische Ansätze zur Bewältigung von Ängsten, Depressionen oder psychotischen Wahrnehmungen werden in der Gruppe gemeinsam erarbeitet.
Seit August 2019 gibt es die Gruppe, bei der besonders die gegenseitige Unterstützung und das Ernstgenommen-Werden bei den Symptomatiken der Medikamentenreduktion als sehr hilfreich empfunden werden, berichtetet Rautenberg.

 

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