Autor:in: Susanne Bruns, Anton Jülich, Tristan Kahrs, Volker Brinkmann, Sascha Heuer

„Psychiatriereform in Bremen” – Eine kritische Bestandsaufnahme

Fünf Redakteure des „Zwielicht“ sind zu dieser Veranstaltung der DGSP Bremen (Deutsche Gesellschafft für Soziale Psychiatrie) gefahren. Es ist für uns oft ein Üben und eine Herausforderung, mit solchen Events umzugehen: Über einige Stunden die Konzentration hochzuhalten, bei sieben Vorträgen, denen mit ihrer gelegentlich sehr akademischen Sprache und der manchmal inhaltlichen Komplexität nicht immer leicht zu folgen ist.

Deshalb werden Sie an dieser Stelle keinen durchgängigen Text eines Autoren finden – sondern sieben einzelne Texte der vier Redakteure, die etwas geschrieben haben, zu jedem der einzelnen Vorträge.

 

Begrüßung durch Frau Senatorin Prof. Dr. Eva Quante-Brandt

von Susanne Bruns

In ihrer Begrüßung an die Anwesenden war Frau Senatorin Prof. Dr. Eva Quante-Brandt sehr zuversichtlich. Den Beschluss der Bürgerschaft 2013 über die neue Psychiatriereform sah sie als großen Fortschritt (ebenso wie das Fortsetzungsprogramm 2020 / 2020plus). Stolz berichtete sie von verschiedenen ambulanten Programmen / Projekten, die erarbeitet und umgesetzt wurden bzw. werden. Das Land Bremen finanziere sie mit 1,2 Mio €. Sie selbst räumte allerdings auch ein, dass zu wenig „Fahrt aufgenommen wurde“, wie sie es nannte, „was nun zu Frust und Enttäuschung der Beteiligten führt.“

 

Wolfgang Rust – Geschäftsführer ASB Seelische Gesundheit

von Anton Jülich

Herr Rust (Geschäftsführer des Arbeiter Samariter Bundes Bremen) berichtete in seinem Vortrag über die Psychiatriereform, die bereits seit Anfang der 90er Jahre im Gespräch sei. Es gehe nur schleppend voran. Bereits seit 1991 sei die teilweise Auslagerung der stationären Behandlung in den ambulanten Bereich in Arbeit und damit sollten die Aktivitäten auch im Privatbereich und im beruflichen Umfeld Einzug halten. Die Regionalisierung des Versorgungssystems und der damit verstärkte Ausbau von Krisenpräventionen und ambulanten Behandlungsmöglichkeiten sollten voran getrieben werden, damit z.B. Patienten durch ein „mobiles Kriseninterventionsteam“ in ihrem natürlichen Lebensumfeld behandelt und überhaupt verstanden werden könnten. In Zukunft soll es verschiedene  Angebote geben z.B. die Unterstützung von Ausbildung und der Beschäftigung. Einen regionalen Krisendienst und die Vernetzung von klinischen und außerstationären Angeboten zur Vermeidung langer Klinikaufenthalte und geschlossener Heimunterbringungen (die zurzeit außerhalb Bremens erfolgt). Ziel sei es, durch die Angebote eine stationäre Behandlung zu vermeiden.

 

Das PTB – System (Persönlich Therapeutische Begleitung) des psychiatrischen Behandlungszentrums Bremen Nord

Dr. Martin Bührig – Klinikdirektor KBN

von Susanne Bruns

Im Behandlungszentrum Bremen Nord wird ein milieutherapeutischer Schutzraum geschaffen. Ganz wichtig ist es Herrn Dr. Bührig, dem Klinikdirektor, dass heimatliche Atmosphäre geschaffen wird, sozusagen der Versuch, „ein Zuhause-Gefühl” zu geben. Somit gibt es zwei Bezugspersonen pro Patient und einen begleitenden Arzt. Diese Kontaktpersonen bleiben die ganze Zeit mit dem Patienten verbunden, auch bei einem wiederholten Klinikaufenthalt. Die Zeit kann von Anfang an für Therapie genutzt werden und wird nicht erst erschwert durch die Beziehungs- und Vertrauensbildung, die jede Therapie braucht, um das Bestmögliche zum Positiven für den Patienten heraus zu holen.

Somit kann soziotherapeutische Begleitung auch schon in der Klinik gestartet werden und nicht erst nach einer Wartezeit von Wochen. Es gibt keine lange Kennenlernphase, die eigentlich schon Therapie sein sollte.

Dieses Zentrum soll Begleitung bei unwegbaren Situationen und Problemen sein und Hilfestellung bieten. „Der Mensch ist aus rohem Holz und nichts muss bleiben wie es ist. Der Patient kann in liebevollen Händen noch weiter zum Guten geformt werden“, so Dr. Martin Bührig – Klinikdirektor des KBN. Er wünscht sich die persönliche Hilfe vor Ort.

Ich als Autorin, möchte die Bezugspflege sehr betonen, da sie in der Psychiatrie sehr wenig  bis überhaupt nicht praktiziert wird! Für den Patienten schafft es große Sicherheit, wenn es nicht den ständigen Wechsel von Bezugspersonen geben würde.

 

Klinikum Bremen Ost

Prof. Dr. Jens Reimer – Geschäftsführender Direktor

Dr. Olaf Kuhnigk – Chefarzt

von Tristan Kahrs

Nach vorangegangen Vorwürfen gegenüber dem KBO (Klinik Bremen Ost), man würde sich der Ambu-lantisierung der Psychiatrie unzureichend widmen, entschied sich Herr Prof. Dr. Jens Reimer erstmal dazu, diese zurückzuweisen.

Die Behauptung, es würden in Bremen keine Betten abgebaut, sondern es wären sogar mehr geworden, sei zwar richtig, jedoch käme dieser Zuwachs durch eine überproportionale Aufnahme niedersächsischer Patienten; und der Vergleich der Betten pro Kopf zwischen Bremen und z.B. Bayern wäre irreleitend, auf Grund sozialstruktureller Unterschiede der Bundesländer. So habe das KBO beispielsweise viele Patienten, die nicht über einen eigenen Wohnraum verfügen, da Krankheit auch oft mit Armut einhergeht.

Weiterhin bemängelte Prof. Dr. Jens Reimer die Vernetzung der psychiatrischen Dienste in Bremen. Als Teilgrund benannte er die fehlende Kommunikation miteinander. So wurde beispielsweise das KBO nicht einmal nach einer Beteiligung an dem Projekt Bremen West gefragt.

Dr. Olaf Kuhnigk führte die Kritik an der außerklinischen Versorgung weiter, insbesondere im Bezug auf die Schnittstellen zwischen Station und Ambulanz.

So einfach es sei, in die Klinik zu kommen, so schwer sei es, dort wieder hinaus in ein gefestigtes Hilfesystem zu kommen. Obwohl es in Bremen vielerlei Angebote für Betroffene gäbe, so stelle es sich dennoch als eine Herausforderung dar, in der zersplitterten Trägerlandschaft die passende Unterstützung zu erlangen.

Als einen Ansatz zur Verbesserung der Situation der ambulanten Übernahme, schlug Dr. Olaf Kuhnigk eine Pflegeverpflichtung für die ambulanten Träger vor, ähnlich der Aufnahmeverpflichtung des Klini-kums.

 

Jörg Utschakowski

Psychiatriereferent des Landes Bremen

von Volker Brinkmann

Jörg Utschakowski, Psychiatriereferent des Landes Bremen, betont, dass die Psychiatriereform auf unterschiedlichen Ebenen vorangetrieben werde.

In seinem Vortrag weist er auf verschiedene Steuerungsinstrumente hin, die angewendet werden. Einen Psychiatrieplan: die Begleitgruppe (Psychiatriereform), um die Psychiatriereform aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten; verschiedene Gremien; Berichte (von Krankenkassen, der Besuchskommission und der Patientenfürsprecher). Durch diese Instrumente könne ein möglichst vielfältiges und genaues Bild der Psychiatriesituation in Bremen entstehen.

Lobend wird von Herrn Utschakowski erwähnt, dass die Psychiatriereform durch regionale Konzepte vorangetrieben werde.

Um die Situation von Menschen mit komplexen Hilfebedürfnissen zu verbessern, solle die Kooperation verschiedener Träger verbessert werden.

Im Weiteren geht Jörg Utschakowski auf den Bereich Beteiligung ein. Psychiatrieerfahrene und Angehörige würden mittlerweile in alle relevanten Planungsgremien eingeladen. Trotzdem folgten diese den Einladungen nicht immer. Gründe hierfür seien, dass die Teilnahme als Belastung für die Psychiatrieerfahrenen zu hoch oder solche Gremien zu unattraktiv seien.

 

Dr. Hans-Georg Güse

MediConsult – Beratungsunternehmer

von Volker Brinkmann

Herr Dr. Güse als Gründungsmitglied der DGSP weist darauf hin, dass es bei der Budgetierung um die Umschichtung und Verlagerung von Ressourcen aus dem stationären in den ambulanten Bereich gehe. Anhand von Daten des statistischen Bundesamtes legt er dar, dass Bremen in Bezug auf Bettenbelegung im Bereich Psychiatrie / Psychosomatik bundesweit an der Spitze liege.

Bezogen auf die Krankenhaushäufigkeit in Psychiatrie / Psychosomatik (Relation der Patienten, die im Laufe eines Jahres stationär behandelt werden, zu der Einwohnerzahl) liege Bremen bundesweit ebenfalls deutlich vorne. In Hamburg und Berlin, welche eine ähnliche Sozialstruktur wie Bremen aufweisen, reduziere sich die Krankenhaushäufigkeit. In Bremen bleibe diese stabil hoch. Im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsplan 2018 der GeNo weist Dr. Güse auf Widersprüche hin:

Obwohl die vollstationären Fälle überproportional zunehmen würden, kommentiert die Geno die dargelegten Zahlen mit den Worten: „In der Psychiatrie wird der teilstationäre und der ambulante Bereich vorangetrieben.“

Dass die GeNo das stationäre Budget gleichmäßig hochhielte, läge laut Dr. Güse daran, dass die GeNo aus wirtschaftlichen Gründen auf Erlöse aus diesem Bereich angewiesen sei. Daher werde der Wille zur Veränderung kleingehalten. Jenseits aller Beteuerung werde sich die Politik gegenüber dieser Haltung in der Praxis nicht durchsetzen, so Dr. Güse.

Anm. der Redaktion: Es ist für uns nicht klar ersichtlich, welche Instanz für die hohe Bettenbelegung und Krankenhaushäufigkeit im psychiatrischen Bereich in Bremen verantwortlich ist.

 

Neue Psychiatrie im Bremer Westen

Klaus Pramann – Arzt

von Susanne Bruns

Herr Pramann arbeitet seit 42 Jahren als Psychiater und kämpft für mehr ambulante Behandlung des Kranken, statt das Herausreißen aus dem sozialen Umfeld und Absondern in eine Klinik.

Er zitiert Albert Einstein: „Was ist Wahnsinn? Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Klaus Pramann meinte, dass mehr ambulante Psychiatrie benötigt wird und fordert den Abbau des Klinischen. Aber genau das Gegenteil geschehe! Die Zahl der Klinikbetten steige. Der aus seiner Sicht katastrophale Bremer Krisendienst verursache nur eine Vervielfachung von Klinik- und Zwangseinweisungen.

Es seien zwar Ende der 80er Jahre fünf sozialambulante Dienste in Bremen entstanden. Sie sollten nicht zusätzlich zur Klinik entstehen, sondern stattdessen. Aber – der Paradigmenwechsel vollzog sich nicht. Aus Blankenburg (Auflösung der Groß – Anstalt) war nicht gelernt worden!

1988 gab es den Bürgerschaftsbeschluss: Ambulanz statt Klinik. Trotzdem bestimme nun seit 25 Jahren weiterhin der klinische Markt, findet Klaus Pramann. Verschiedene ambulante Programme / Projekte wurden erarbeitet und mit 1,2 Mio € finanziert. Es steht, dass das Programm 2020 / 2020plus umgestellt ist (neue Agenda für die weitere Umsetzung der Medizinstrategie von der GeNo). Stattdessen wurde das regionale Prinzip geschwächt. Es erfolge eine weitere Spezialisierung im klinischen Bereich, was weitere Selektion heiße. Mehr ambulante Arbeit ohne Bettenabbau sei Verschleierung.

Klaus Pramann meint, es solle von den Stärken der Patienten ausgegangen werden, nicht von den Schwächen. Ein offener Dialog, nicht auf Lösungen finden fixieren, sondern sich gemeinsam auf den Weg machen. Auch beim Umgang mit Medikamenten müsse umgedacht werden. Es solle den Weg geben, ohne oder mit wenigen Medikamenten auszukommen. Der Krisendienst müsse mobiler werden. Die Tagesklinik müsse auch nach Hause kommen.

 

Diskussion (auch „Fishbowl“ genannt)

von Sascha Heuer

Die in den Vorträgen deutlich spürbaren Kontroversen zur Situation der Bremer Psychiatrie setzten sich auch in der abschließenden Diskussion fort. Die Klinikvertreter sahen sich mehrfach mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden eine moderne Entwicklung verhindern. Besonders Herr Pramann und Herr Rust ließen ihren Frust durchblicken – sicherlich auch resultierend aus der Erfahrung von 30 Jahren währenden Auseinandersetzungen mit der Klinik. Herr Kuhnigk verteidigte sich des Öfteren mit Worten wie „Das kann ich aber jetzt nicht so stehen lassen“. Bis zum Ende der Diskussion war wenig spürbar, dass sich die verschiedenen Parteien angenähert hatten (was einen nicht sehr optimistisch für eine weitere, nötige Zusammenarbeit stimmt).

PS: Für die Fishbowl-Diskussion wurden die Teilnehmer der gesamten Veranstaltung  (mit mehr oder weniger Nachdruck) gebeten, sich nach vorne zu begeben und einen großen Halbkreis zu bilden. Diese Aktion erlebten einige der Zwielicht-Redakteure als sehr unangenehm. Sie fühlten sich wie bei einem Viehtreiben.