Zum 15. Mal findet am 28. Februar der „Rare Disease Day“, der internationale Tag der Seltenen Erkrankungen, statt. Dazu möchte die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. , Dachverband und Stimme der 4 Millionen betroffenen Menschen und deren Angehörigen in Deutschland, aufrufen. „Wir wollen mit dem Aktionstag Aufmerksamkeit schaffen und auch Stärke und Zusammenhalt der Menschen mit Seltenen Erkrankungen weltweit demonstrieren“, erklärt Bianca Paslak-Leptien, Pressesprecherin von ACHSE e.V. . Der Tag ist an die breite Öffentlichkeit, Gesellschaft, Nachbarn, Arbeitgeber:innen, Mitschüler:innen (Thema Inklusion, Verständnis), Politik, Medizin, etc. gerichtet.
Es gibt etwa 8.000 verschiedene seltene Krankheiten: Dazu gehören beispielsweise die Achalasie (seltene chronische Erkrankung der Speiseröhre), die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – eine chronisch degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems – oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) – eine tödlich verlaufende Krankheit des Nervensystems. Laut Information des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gilt in der Europäischen Union eine Krankheit als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10. 000 Menschen von ihr betroffen sind. Da es mehr als 6.000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch.
Eine von 4 Millionen betroffenen Menschen mit einer seltenen Erkrankung ist Ulrike Wiedemann (55) aus Bremen. Sie leidet an einer Neurofibromatose. „Da Neurofibromatose auf einem Gendefekt beruht, habe ich die Krankheit schon seit meiner Geburt“, erklärt Wiedemann. Sie hat Symptome wie Skoliose, Legasthenie, Probleme beim Rechnen, AD(H)S sowie Osteoporose. „Vielleicht ist mein Hörverlust auch darauf zurückzuführen. Und immer wieder habe ich juckende zumeist gutartige Tumore, die Fibrome genannt werden. Das muss man sich vom Gefühl her so vorstellen, als würde man eine Brennnessel anfassen“, so Wiedemann. In Bremen gebe es keinen Facharzt, da Neurofibromatose zu den Seltenen Erkrankungen gehört. Es gebe ein Kompetenzzentrum am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg. Zudem sitze in Quakenbrück ein Facharzt. „Meine Ärzte, zu denen ich wegen anderen Erkrankungen gehe, haben sich über mein Krankheitsbild informiert. Ich bin in der Selbsthilfe-Gruppe für mein Krankheitsbild in Bremen eingebunden. Über das Internet bin ich auch mit anderen Betroffenen verbunden. Durch Seminare oder private Treffen sind Freundschaften entstanden“, berichtet Wiedemann.
„Auch in der Psychiatrie gibt es Seltene Erkrankungen, zum Beispiel bestimmte Formen der Demenz oder die inzwischen selten gewordene Katatonie“, sagt Dr. Martin Zinkler, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum in Bremen-Ost. Allerdings komme es in der Psychiatrie kaum vor, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen lange auf eine Diagnose warten, denn die Symptome von psychischen Erkrankungen (z.B. Gedächtnisverlust) zeigen sich doch deutlich für Betroffene oder Angehörige, so Zinkler. „Probleme entstehen bei psychischen Erkrankungen (häufigen und seltenen) eher dadurch, dass die Betroffenen und Angehörigen sich nicht trauen, das Problem beim Hausarzt oder Facharzt anzusprechen, aus Angst vor dem Abgestempeltwerden, vor dem Eingewiesenwerden oder vor Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie. Das kann dann die psychischen Probleme eher noch verstärken, weil eine mögliche Behandlung oder Unterstützung nicht in Anspruch genommen werden.“ Nach der Diagnosestellung gehe es darum, achtsam mit den Betroffenen und Angehörigen die Diagnose zu besprechen und Hilfsmöglichkeiten anzubieten, nicht nur medizinische Behandlung, sondern auch soziale Unterstützung und Selbsthilfegruppen.
Das diesjährige Motto lautet: „Bekennen Sie Farbe“. Ob beleuchtete Gebäude in Pink, Blau, Grün, Lila, die Ausstellung „Selten allein“ in Bahnhöfen bundesweit und online, Fachveranstaltungen oder Social-Media-Kampagnen die Beteiligungsmöglichkeiten sind vielfältig. Eva Luise Köhler, Schirmherrin der ACHSE, und weitere Persönlichkeiten aus Politik, Medizin und Gesellschaft unterstützen den Aktionstag auch in diesem Jahr wieder.
Weltweit leben rund 300 Millionen Menschen mit chronischen Seltenen Erkrankungen. Jedes Jahr am und um den letzten Tag im Februar machen sie gemeinsam auf ihre Anliegen aufmerksam. Sie wünschen sich mehr Forschung, mehr Therapien und Behandlungsmöglichkeiten sowie die Chance auf ein besseres und längeres Leben. Zudem geht es ihnen um gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe. Denn viele der etwa 8.000 als selten eingestuften Erkrankungen gehen mit zum Teil schwerwiegenden körperlichen und geistigen Einschränkungen einher. Als deutsche Allianz im internationalen Verbund koordiniert die ACHSE den Tag der Seltenen Erkrankungen seit 2008 in Deutschland. Etabliert hat den „Rare Disease Day“ die europäische Organisation für Menschen mit seltenen Erkrankungen EURORDIS. Am 29. Februar 2008 wurde der Aktionstag das erste Mal begangen. Seither schließen sich an und um den Tag der Seltenen Erkrankungen weltweit jedes Jahr mehr Menschen zusammen – in den Städten und im Netz. Von A wie Australien über G wie Ghana bis Z wie Zypern, beteiligen sich heute Menschen in über 100 Ländern. Seit 2020 steht der „Rare Disease Day“ unter dem Motto „Selten sind Viele. Gemeinsam sind wir stark und selbstbewusst“.
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