Viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die für längere Zeit aus dem Berufsalltag ausgeschieden sind, verspüren den Wunsch, wieder beruflich Fuß zu fassen. Doch der Weg dorthin kann oft sehr mühsam und mit vielen Problemen verbunden sein. Oft fühlen sich die Betroffenen in diesem Prozess alleine gelassen. Hilfestellung und Unterstützung finden sie in der Neuen Burg in Verden, die seit Juli 2015 eine RPK anbietet. „Dabei handelt es sich um eine Einrichtung für psychisch Erkrankte, die den Wunsch haben, medizinisch oder beruflich rehabilitiert zu werden. Wir behandeln jeden nach einem individuellen Konzept und schauen: ‚Was braucht der Mensch, um seinem Ziel näher zu kommen?‘“, erklärt Martina Ortel Winkelmann. Sie ist die ärztliche Leiterin der RPK. Die Abkürzung steht für Rehabilitation Psychisch Kranker Menschen. Häufige Krankheitsbilder sind Depressionen, Angsterkrankungen, Psychosen und Verhaltensstörungen. „Hinzu kommen psychische Stressfolgeerkrankungen, auch mit körperlichen Symptomen oder Depressionen bei anhaltender Arbeitslosigkeit“, erklärt die ärztliche Leiterin. „Darüber hinaus nehmen wir auch Teilnehmer mit einer Abhängigkeits- oder Suchterkrankung bei uns auf“, ergänzt Bilgin Heydt, Geschäftsführerin und Verwaltungsleiterin der RPK. Diese müssten jedoch abstinent sein. „Und wir nehmen auch Jugendliche auf, die zum Beispiel nach der Schule zu Hause geblieben sind und noch nie berufstätig waren.“
Ausgeschlossen werden Personen, bei denen eine ambulante ärztliche Versorgung, Heilmittelversorgung, Psychotherapie oder Soziotherapie ausreicht. Ebenfalls nicht aufgenommen werden Klienten, bei denen eine stationäre (Klinik) oder teilstationäre (Tagesklinik) Behandlung aufgrund einer akuten psychotischen oder akut suizidgefährdeten Situation vorrangig ist. Weitere Ausschlusskriterien sind Demenz sowie eine erhebliche Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit, zum Beispiel durch Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns.
Das RPK-Team setzt sich aus Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialpädagogen, Gesundheits- und Krankenpflegern, Rehafachkräften sowie Physio- und Ergotherapeuten zusammen. Gemeinsam unterstützen sie die Teilnehmer bei der Durchführung der Rehamaßnahme. Das Gesamtpaket umfasst die medizinische, die bis zu zwölf Monate dauert, und die berufliche Rehabilitation, die ebenso für zwölf Monate angesetzt ist. So könnten Klienten für maximal zwei Jahre behandelt werden.
“Im ersten Bereich geht es darum, die Stabilität des Rehabilitanden beizubehalten und sie weiter auszubauen. Er muss sich mit seiner Krankheit auseinandersetzen. Hierbei besteht das Maximalziel darin, wieder beruflich tätig zu werden und in die berufliche Rehabilitation zu kommen”, erläutert Martina Ortel Winkelmann. Allerdings sei diese Zielsetzung nicht zwingend; eine Verhütung von Verschlechterung der Erkrankung könnte auch ein Behandlungsziel sein. Dann sei die Maßnahme soweit ausgebaut, dass der Teilnehmer sagt, mit dem Wissen könne er jetzt entlassen werden. Mit diesem Baustein und mit dieser Unterstützung komme er zuhause zurecht, um nicht wieder in die Klinik zu müssen. „Die Ziele werden nicht von uns festgelegt, sondern diese werden immer gemeinsam mit dem Teilnehmer vereinbart. Also niemand bekommt von uns ein Ziel genannt, das er erreichen muss“, hebt Martina Ortel Winkelmann hervor. „In der medizinischen Phase begleiten wir die Rehabilitanden bis zu einem Jahr, wobei die Klienten immer nur für drei Monate eine Kostenzusage bekommen, die wir beim Kostenträger beantragen müssen“, schildert Bilgin Heydt. Diese Verlängerung müsse beim Kostenträger beantragt werden, was mit dem Klienten, seinem Bezugsbetreuer und dem gesamten Team gemeinsam abgesprochen werde. Zu den Kostenträgern zählen die Deutsche Renten- versicherung, Krankenkassen, Arbeitsämter und in seltenen Fällen auch Sozialämter.
In der Phase der medizinischen Rehabilitation besuchen die Teilnehmer die Einrichtung, je nach Belastbarkeit, werktags für vier bis acht Stunden täglich. „Sie fangen langsam an. Die Teilnehmer sagen, was sie an Zeit mitbringen und was sie leisten können“, erklärt Heydt. Üblicherweise fängt der Tag morgens mit der Morgenrunde an, die von 8 bis 8.15 Uhr dauert. Ab 9 Uhr beginnen dann die Maßnahmen. In der Regel sind dann die Teilnehmer bis nachmittags in der Einrichtung.
Dort befindet sich im Erdgeschoss der Empfangsbereich; ein Zimmer, in dem die Verwaltungsleiterin Bilgin Heydt arbeitet und ein großer Raum, in dem die Ergotherapie stattfindet. Darin stehen in der Mitte Arbeitstische, an denen die Klienten Werkstücke herstellen oder malen können. Rechts, in einer Ecke, befinden sich Computerarbeitsplätze für Therapeuten, während in einem Nebenraum Platz für Textiles Gestalten ist. An einer Wand im Empfangsbereich hängt ein Schwarzes Brett, das mit „Jobbörse“ überschrieben ist. Dort finden sich Stellenanzeigen aus der Region Verden, Walsrode, Hannover und Bremen.
Im ersten Obergeschoss gibt es einen PC-Raum, in dem die Teilnehmer Hirnleistungsübungen wie Cog-Pack ausführen und Bewerbungen am Computer erstellen können. Rechts daneben ist ein Bewegungsraum für Yoga, Krankengymnastik und Tai-Chi. Auf derselben Ebene befinden sich noch zwei Ruheräume: darin stehen kleine Liegen zum Hinlegen, jeweils ein Tisch, ein Stuhl und eine Kommode. Hier können sich die Rehabilitanden mal zurückziehen. Darüber hinaus gibt es noch eine Küche mit Kochinsel und einen angrenzenden Aufenthaltsraum, in dem ein großer runder Tisch steht; umzu Stühle und Sessel, was insgesamt eine gemütliche Atmosphäre ausstrahlt.
Im zweiten Obergeschoss (Dachgeschoss) sind der Ärztliche Dienst, der Bereich Psychologie und ein Besprechungsraum untergebracht, in dem unter anderem die Morgenrunde mit den Rehabilitanden stattfindet.
Im Keller befindet sich eine große Holzwerkstatt. In diesem Bereich können die Klienten an fünf Arbeitsplätzen unterschiedliche Holzarbeiten wie Vogelhäuser oder Schlüsselbretter herstellen. „Ich gebe nichts vor“, berichtet Sebastian Schulze. Der Tischlermeister und Ergotherapeut ist der Anleiter im Holzbereich. „Die Ideen kommen von den Teilnehmern. Wir gucken, was zu ihnen passt. Ich gehe immer individuell auf die Teilnehmer ein.“
Zur Einrichtung gehört auch noch ein kleiner Garten, in dem sich ein Gartenhaus, ein Hühnergehege und ein Gewächshaus mit Pflanzen befinden.
Zum Behandlungspaket der Rehamaßnahme gehören im Einzelnen sieben Bausteine:
• In der sozialpädagogischen Begleitung werden den Rehabilitanden Sozialpädagogen zur Seite gestellt, die sie intensiv in Einzelgesprächen begleiten, beim Bewerbungstraining, bei der Suche nach Praktikumsplätzen, bei der Durchführung der Praktika, bei organisatorischen Abläufen und bei der Nachsorge.
• Zum zweiten Element gehören psychologische Gespräche mit den Klienten. Diese finden in Einzel- und Gruppengesprächen statt. Darin wird der Umgang mit persönlichen Hindernissen und Krisen in den Fokus gerückt. Es soll eine nötige Standhaftigkeit und Flexibilität entstehen, um einen positiven Lebensstandard zu entwickeln und langfristig im Berufsleben Fuß zu fassen.
• Bestandteile der ärztlichen psychiatrischen Behandlung sind die Begleitung der Pharmakotherapie (Behandlung mit Hilfe von Arzneimitteln) und die psychiatrischen Einzelgespräche. In den wöchentlich stattfindenden Visiten bei den Fachärzten werden der Verlauf und das Befinden aus medizinischer Sicht beurteilt. Die medikamentöse Behandlung erfolgt weiter durch die niedergelassenen Haus- und Fachärzte.
• In der Aktivgruppe soll die innere Zufriedenheit und das Wohlbefinden erreicht werden. Es werden verschiedene Bewegungsmöglichkeiten geübt, um die eigenen Leistungsmöglichkeiten zu erfahren und eine individuelle Zufriedenheit zu erlangen. Zum Programm gehören Gymnastik, Spaziergänge, Wandern, Walken, Joggen, Fahrradfahren, Schwimmen und sanftes Krafttraining mit Gewichten.
• Beim Aspekt Gesunde Ernährung sollen sich die Teilnehmer mit der Frage nach einer gesunden, durchdachten und preisbewussten Ernährung auseinandersetzen. Die wöchentlich stattfindende Kochgruppe soll ein unterstützendes und soziales Netzwerk sein, mit dem die Fähigkeit zur Selbstversorgung gefördert wird.
• Ein weiterer Bestandteil des Behandlungsprogramms ist die Stressbewältigung. Im Rahmen von einzelnen und aufeinander aufbauenden Veranstaltungen wird der kommunikative Umgang mit Stress vermittelt. Zu den Angeboten gehören Qi Gong, Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und Achtsamkeitsübungen.
• Ein umfassendes Angebot ist die Ergotherapie. Ziel ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und die langfristige Teilhabe am Arbeitsleben. Zum ergotherapeutischen Bereich gehören unter anderem kognitive Trainingsprogramme am PC und kreative Projekte wie die Kunsttherapie.
Die medizinische Phase durchläuft z.B. René Kirsch aus Kirchlinteln. Der 38-jährige gelernte Restaurantfachmann hat im September vergangenen Jahres mit der Rehamaßnahme angefangen. Eigentlich wollte er eine Umschulung nach der ersten Reha beginnen, die er fünf Wochen in Odenwald besucht hat, um wieder im Arbeitsleben einzusteigen. Doch dieser Plan ist aufgrund seines gesundheitlichen Zustands gescheitert und zudem von der Rentenversicherung abgelehnt worden. „Mir wurde dann empfohlen, mich in Verden bei der RPK zu bewerben und dort mal ein Informationsgespräch zu führen. Ich habe im Anschluss an das Gespräch einen Antrag bei der Rentenversicherung gestellt, der relativ schnell bewilligt wurde“, beschreibt Kirsch sein Vorgehen. Nachdem er in der Einrichtung angekommen sei, hat er verschiedene Bereiche durchlaufen wie die Ergotherapie, die Koch-, die Zeitungs- und die Handarbeitsgruppe. Zudem hat er kleine Arbeiten in der Holzwerkstatt ausgeführt. Vor der Reha war er beruflich als stellvertretender Lagerleiter in Achim tätig. „Ich habe 2017 einen Burnout bekommen und als Folge daraus eine schwere Depression. Mittlerweile sind psychosomatische Belastungsstörungen wie Rücken- und Gelenkprobleme hinzugekommen.“ Von der medizinischen Rehamaßnahme erhofft sich Kirsch, dass er wesentlich stabiler werde und seine Alltagssituationen in den Griff bekomme. Er würde gerne in der Verwaltung wieder beruflich Fuß fassen, denn vor seiner Erkrankung habe er schon in dem Bereich gearbeitet. „Doch momentan sieht es nicht so gut aus. Es läuft wohl darauf hinaus, dass ich aufgrund meiner körperlichen Leiden in die Erwerbsunfähigkeit gehe“, erklärt der Rehabilitand. Insgesamt sei er mit der Begleitung und Betreuung der RPK-Maßnahme ganz zufrieden. „Wenn man mal Gesprächsbedarf hat, nehmen sich die Angestellten Zeit. Hin und wieder gibt es natürlich Dinge, die einem nicht so gut gefallen. Das hängt aber sehr von der Tagesform ab. Es gab eine Phase, in der viele Mitarbeiter krank waren. Das hat man natürlich gemerkt. Davon abgesehen läuft es aber ganz gut hier“, beschreibt Kirsch seine Eindrücke.
Im Anschluss an die medizinische Rehabilitation folgt die berufliche. In dieser Phase sollen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beruflich orientieren. „Wir unterstützen sie bei der Suche nach Praktikumsstellen und begleiten auch die Praktika. Wir gucken in diesem Prozess, wo sie wieder beruflich tätig sein möchten“, erläutert Ortel Winkelmann. Die Praktikumsbetriebe befinden sich in Verden und den angrenzenden Landkreisen. Die Einrichtung arbeitet mit einigen Betrieben aus der Region zusammen, in denen die Klienten ein Praktikum durchführen können. Dazu zählt zum Beispiel ein Altenheim in Achim, das Krankenhaus in Verden und die Klinik in Nienburg. Es sei wünschenswert, dass die Teilnehmer in der beruflichen Phase mehrere Praktika abschließen würden, so Bilgin Heydt.
Nach Abschluss der beruflichen Phase und damit der gesamten Rehamaßnahme erfolgt die Suche nach einer Arbeitsstelle. Wenn der Teilnehmer innerhalb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz gefunden hat, kann er eine Nachsorgeleistung der RPK in Anspruch nehmen. „Wir schauen dann, wieviel Stunden er zur Nachbetreuung nutzen kann. Wenn er das Gefühl hat, er braucht ein Gespräch, kann er einen Termin mit der Einrichtung vereinbaren. Wir bieten ihm dann individuelle Termine an, die unbürokratisch sind“, beschreibt Heydt. Die Nachsorge bezahlt der Kostenträger. Innerhalb eines Jahres steht dem Rehabilitanden die Nachbetreuung zur Verfügung, die der Kostenträger aber verlängern kann.
Die Geschäftsführerin Bilgin Heydt kann sich eine Ausweitung des RPK-Modells vorstellen: „Ich würde mir wünschen, dass es bundesweit solche Maßnahmen für psychisch Kranke gibt.“ Die ärztliche Leiterin Martina Ortel Winkelmann wünscht sich für die Zukunft mehr Aufklärung über psychische Erkrankungen: „Ich würde mir zum Beispiel Depressionsschulungen wünschen, damit die Menschen wissen, um was für eine Krankheit es sich dabei handelt. Und ich wünsche mir, dass Betroffene Mut aufbringen und fragen, wie sie weiterkommen.“