Autor:in: Joachim Götz

Sich nicht verrückt machen

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In der Tagesstätte der Villa Wisch gibt es bereits seit einiger Zeit eine gute Anlaufstelle für Menschen, die zum Thema Ernährung Beratung und Unterstützung suchen. Einmal monatlich berät Silvia Pape hier kostenlos in der Gruppe und im Einzelgespräch. Um sie und ihre Tätigkeit näher kennenzulernen, haben wir uns mit ihr unterhalten. Das Ergebnis unseres Gesprächs stellen wir nun vor.

Anlässlich des aktuellen Titelthemas der 19. Ausgabe vom Zwielicht haben wir ein Interview mit Silvia Pape geführt, die sich seit circa acht Jahren beruflich mit dem Thema Ernährung beschäftigt.
Silvia Pape arbeitet seit 2005 bei der ASB-Gesellschaft für Seelische Gesundheit als Leiterin der Schulverpflegung und im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben, wobei es darum geht, Menschen mit Beeinträchtigungen wieder in Beschäftigung zu bringen. Nachdem sie Hauswirtschaft gelernt hat, machte sie 2014 eine Weiterbildung zur diätetisch geschulten Fachkraft und 2021 erwarb sie die “Sonderpädagogische Zusatzqualifikation”, was in den Beratungsgesprächen sehr hilfreich sein kann.
Ernährungsberatung fing damit an, dass seit 2014 Allergene auf dem Speiseplan gekennzeichnet und ausgewiesen werden müssen. Daraus entstand bei Silvia Pape der Wunsch, ihr Wissen über Allergene zu vertiefen, weshalb sie die Weiterbildung zur diätetisch geschulten Fachkraft besuchte. Hierbei zeigte sich, dass sie die Vielzahl der weiteren ernährungsmedizinischen Themen sogar noch interessanter fand und sie mit dem Wissen noch viel mehr erreichen kann, z. B. Menschen zum Thema Ernährung zu beraten. Obwohl Silvia Pape in der Tagesstätte des ASB, in der „Villa Wisch“ einmal monatlich eine Beratung zum Thema Ernährung anbietet, die sowohl in der Gruppe, als auch, falls gewünscht im Einzelgespräch mit ihr stattfindet, bezeichnet sie sich offiziell nicht als Ernährungsberaterin, da sie hierfür kein Zertifikat hat. Es ist ihr wichtig, dies immer wieder deutlich zu machen. Ihre Arbeit unterscheidet sich in dem, was sie hier anbietet jedoch nicht von dem, was eine offizielle Ernährungsberaterin auch bieten kann.
Die bisher kostenlose Beratung richtet sich hauptsächlich an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die meist vom ASB betreut werden und auch auf diesem Wege davon erfahren. Doch nicht nur Beratung findet in der Gruppe statt, sondern auch der gegenseitige Gedanken- und Erfahrungsaustausch, der wesentlich zur Motivation mit beitragen kann. Diese Gruppe, die grundsätzlich von der Teilnehmerzahl her nicht begrenzt ist, wird meistens von drei bis vier Menschen besucht und dauert in der Regel etwa eine bis eineinhalb Stunden. In der Vergangenheit fanden auch schon Gruppen mit bis zu zwölf Teilnehmer:innen statt, wobei dies eher die Ausnahme darstellt. Vom Ablauf her sind die Gruppen recht zwanglos gehalten. Alle Anwesenden öffnen sich nur so weit, wie es ihnen möglich ist, beziehungsweise sie das Bedürfnis danach verspüren.
Es gibt das Angebot, sich beim Treffen auf die Waage zu stellen oder den Bauchumfang zu messen. Auch dies kann, muss aber nicht genutzt werden. Wenn ausreichend Interesse in der zum jeweiligen Zeitpunkt existierenden Gruppe besteht, wird auch schon mal gemeinschaftlich gekocht. Es wird gemeinsam darüber entschieden, was gekocht wird – jede:r kann sich mit Vorschlägen einbringen. Im Anschluss wird das Gekochte natürlich gemütlich von allen Beteiligten verzehrt (Dauer gesamt bei den Koch-Treffen etwa zwei bis drei Stunden). Ein solches Treffen findet sporadisch statt, da es sich danach richtet, inwieweit Interesse bei den aktuellen Gruppenteilnehmer:innen besteht und eine gewisse Planung im Vorfeld stattfinden muss.
Möglich sind auch eine Art kleine „Hausaufgaben“ wie beispielsweise das schriftliche Festhalten, was und wieviel man eigentlich im Laufe eines Tages zu sich nimmt. Sollte sich die Umsetzung solcher Aufgaben einmal schwierig gestalten, was bei Menschen mit psychischen Problemen wie beispielsweise Depressionen vorkommen kann, wird hierauf mit Rücksicht und Verständnis reagiert.
Anliegen ist hier, Anregung und Unterstützung zu geben, ohne das Gefühl von Zwang entstehen zu lassen. In Ausnahmefällen hat Silvia Pape in der Vergangenheit auch schon Hausbesuche durchgeführt, wenn die Situation der beratungssuchenden Person es erforderte.
Die Teilnehmer:innen der Gruppe profitieren von den Erfahrungen der anderen, indem sie Anregungen erhalten oder einfach feststellen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine dastehen. Auch fühlen sie sich durch Menschen, denen es genauso geht wie ihnen selbst, verstanden. So können sie die Gruppe des Weiteren nutzen, um sich einmal Frust von der Seele zu reden, in dem Wissen gehört zu werden. Das kann oft schon ausreichen, um Kraft zu bekommen, wenn es beispielsweise um das Thema Abnehmen geht, den Kampf, weiter zu kämpfen.
Generell gibt es für die Teilnahme an der Gruppe auch von der Gesamtdauer her keine Begrenzung und in der Vergangenheit gab es auch schon Gruppen, die über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren mit festen Teilnehmer:innen bestanden. Es zeigte sich jedoch, dass es nach Ablauf eines solch langen Zeitraums zu einem gewissen „Stillstand“ kommt.
Das heißt, Silvia Pape möchte mit ihrem Angebot sowohl in der Gruppe als auch in der Einzelberatung den Hilfesuchenden „das Handwerkszeug an die Hand geben“, indem sie diesen die Möglichkeit gibt, ihren eigenen persönlichen Weg im Umgang mit dem Thema Ernährung, unter Berücksichtigung der individuellen Problemlage, die körperliche und psychische Grundsituationen mit einschließt, zu erarbeiten und finden zu können. Einen Weg, den sie so auf Dauer nach der Teilnahme am Beratungsangebot für sich selbst weiter gehen können.
Insbesondere beim Thema Gewichtsreduktion ist Silvia Pape der Ansicht, dass es sich hierbei um eine „langfristige Angelegenheit“ handelt, die durch Ernährungsumstellung zu erreichen ist, da es dabei darum geht, nach dem Abnehmen das Gewicht zu halten. Den Prozess, sich aktiv selbst mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen und sich mit seiner eigenen Problemlage auseinanderzusetzen, hält Pape für besonders wichtig, statt einfach „Pillen“ einzunehmen, bei denen es in den allermeisten Fällen nach Beendigung der Einnahme zu erneuter Gewichtszunahme kommt. Andererseits empfiehlt sie aber auch, „sich nicht verrückt zu machen“ wie sie sich ausdrückt, d. h. sich nicht unter Druck zu setzen.
Ein wesentlicher Gedanke liegt Frau Pape bei ihren Beratungen besonders am Herzen und spielt immer begleitend eine Hauptrolle mit: dass sich als Ergebnis ihrer Gruppe Menschen zusammenfinden, die sich dann privat, also eigeninitiativ auch außerhalb des Rahmens der Gruppe, weiter zu Treffen – etwa zum gemeinsamen Kochen und/oder für Spaziergänge – verabreden. Denn in Gemeinschaft lassen sich viele Hürden einfacher nehmen. Auch geht es hier nicht um den „großen Sport“, wie Pape sagt. Vielmehr geht es darum, die Motivation, die man alleine oft schwer findet, durch das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Anmerkung: Für ihre freundliche Unterstützung beim Führen des Interviews bedanke ich mich herzlich bei Nadine Böhme.

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