Autor:in: Volker Brinkmann

Verstehen, Verständnis, Veränderung – Der lange Weg einer Psychoanalyse

Die Psychoanalyse ist etwas aus der Mode gekommen. Dieser Erfahrungsbericht zeigt jedoch, dass sie eine interessante Reise mit nachhaltiger Wirkung sein kann.

Im Herbst 2013 war ich Teil einer Wiedereingliederungsmaßnahme des Arbeitsamtes. Über ein dreimonatiges Praktikum sollte der Schritt in den Arbeitsmarkt gelingen – das war der Plan. Die Realität sah dann anders aus. Meine Belastbarkeit kam relativ schnell an ihre Grenzen. Ich konnte den Anforderungen, die an mich gestellt wurden, nicht gerecht werden – jedenfalls nicht in dem Maße, dass es sowohl für mich als auch für meinen Arbeitgeber zufriedenstellend gewesen wäre. Äußere Umstände haben nicht zu diesem Ergebnis geführt – ich hatte in einem netten Team gearbeitet, das recht geduldig mit mir und meiner geminderten Leistungsfähigkeit umgegangen war.

Nach Beendigung des Praktikums war ich etwas desillusioniert, aber nicht komplett am Boden zerstört. Ich hatte eher das Gefühl, dass es da in mir noch einiges zu optimieren gäbe. Nur, wie mein Weg aus der Misere aussehen würde – darüber war ich mir nicht im Klaren. Aber ich war für eine persönliche Entwicklung offen.

Während des Praktikums war ich von einer Person begleitet worden, mit der ich nach der Beendigung in einen Austausch ging, welche weiteren Schritte für mich sinnvoll sein könnten. Eine Möglichkeit war das Absolvieren einer Psychotherapie. Obwohl ich im therapeutischen Bereich einige Erfahrungen gemacht hatte, die mich zu dem Zeitpunkt nicht euphorisch stimmten, ließ ich mich auf diese Gedanken ein.

Therapeuten-Suche, wie wir seit den unterhaltsamen Schilderungen von Monika Rosada in Ausgabe 11 des Zwielichts wissen, kann frustrierend sein. Aber manchmal hat man einfach Glück – und das hatte ich. Ich sprach einer Therapeutin auf den Anrufbeantworter, die alsbald zurückrief und mir die Chance auf ein zeitnahes Erstgespräch bot. Bei dieser Therapeutin handelte es sich um eine Verhaltenstherapeutin. Diese Therapieform kannte ich. Meine diesbezüglich gemachten Erfahrungen führten dazu, dass ich für eine weitere Verhaltenstherapie nicht wirklich offen war, wie ich in dem Gespräch selber bemerkte. Dementsprechend lustlos kommentierte ich die Ansätze,welche die Therapeutin mir eröffnete. Jedoch nahm sie meine Stimmung wahr und war kompetent genug, mir einen alternativen Weg aufzuzeigen. In ihrer Praxis war zu dieser Zeit ein anderer Therapeut tätig. Da er erst seit kurzem in Bremen therapierte, hatte er nicht mal eine Warteliste. Unglaubliches Glück, wie ich heute sagen kann.

„Psychoanalyse ist der Ferrari unter den Therapien“ sagte die erwähnte Verhaltenstherapeutin – ein bemerkenswerter Satz. Rückblickend bin ich ihr dankbar, dass sie mir ihren therapeutischen Ansatz nicht aufdrängen wollte und die Größe besaß, mich an einen Tiefenpsychologen zu verweisen. Ob diese Größe jeder Therapeut hat, bezweifle ich. Jedenfalls machte ich diese tolle Erfahrung zum ersten Mal. Warum so spät, nach einer verhaltenstherapeutischen Odyssee? Ich habe rückblickend den Eindruck, dass eine Idealisierung der jeweiligen Therapieprofessionen vorherrscht, die zu Lasten von Menschen in Notsituationen geht.

Ich war also bereit, noch mal einen anderen Weg einzuschlagen. So traf ich mich schon bald mit dem Therapeuten, der mich in den nächsten vier Jahren im Alltag begleiten sollte – was ich damals nicht im Ansatz ahnte. Diese Zukunftsvision hätte mich wohl glatt erschlagen.

Ich möchte den Leser an meinen Erfahrungen mit der Psychoanalyse teilhaben lassen, welche ich als faszinierende Reise zu mir selbst erlebt habe.

Die einzelnen Prozesse einer Psychoanalyse erfordern einen großen zeitlichen Rahmen. Daher ist diese auf bis zu 300 Stunden angesetzt. Meine Psychoanalyse fand zweimal pro Woche statt. Dies bedeutet eine hohe therapeutische Intensität und ist gewöhnungsbedürftig. Aufgrund dieser Intensität bewegt sich die Therapie nah an der Lebenswirklichkeit des Klienten und kann besondere Unterstützung gewährleisten.

„Ich glaube, du musst mal auf die Couch“ ist bekanntlich eine etwas abfällig gemeinte Redewendung. Aber die Couch existiert wirklich. Der Therapeut stellte es mir frei, diese während der Therapie zu nutzen. Ich lehnte erstmal ab und saß ihm 1½ Jahre auf einem Sessel gegenüber. Erst dann wechselte ich in die Waagerechte. Der Vorteil dieses methodischen Ansatzes ist, dass man in dieser entspannten Haltung etwas unbefangener sprechen und sich leichter auf die eigene Gedankenwelt konzentrieren kann, da sich der Therapeut außerhalb des Sichtfeldes befindet.

Es gibt Menschen, die davon ausgehen, dass man während einer Psychoanalyse ständig in der Kindheit kramt und sich mit der alltäglichen Realität nur wenig auseinandersetzt. Dem kann ich nur widersprechen. Vielmehr wird man vom Therapeuten dazu angehalten, den Gedanken und Gefühlen, die einen momentan bewegen, Ausdruck zu verleihen. Die Gesprächsinhalte werden vom Therapeuten eher selten vorgegeben, sondern können vom Klienten selbständig bestimmt werden.

Unglücklicherweise war ich zu Therapiebeginn nicht darin geübt, meinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In der Familie, in der ich aufwuchs, war es mir nicht möglich, diese Kompetenz zu erwerben. Daher war es für mich ein langwieriger Prozess, eine Sprache für mich zu finden. Aufgrund der Therapiehäufigkeit war ich jedoch dazu gezwungen, es immer wieder zu versuchen. Ich wurde von meinem Therapeuten dazu ermutigt, aber nie gedrängt. Geduldig hörte er sich an, wie ich zunehmend Worte für mein Innenleben fand. Es verstärkte sich in mir der Eindruck, dass mir in meinem Therapeuten jemand gegenüber saß, der ein authentisches Interesse an meinen Empfindungen hatte. Die Rückmeldungen, die ich von ihm bekam, waren im ersten Stadium der Therapie nahezu durchweg empathisch. Diese Phase war für mich sehr wichtig, um Vertrauen zu fassen. Allerdings hatte ich auch für das Wort „Vertrauen“ zunächst keine passende Beschreibung. Ich konnte mir darunter wenig vorstellen – was für mich sehr bedrückend war. Jedoch gab es in mir eine starke Sehnsucht, dieses Gefühl erleben zu können.

Wenn eine Therapie im Leben eines Menschen einen großen zeitlichen Raum einnimmt, kommt man nicht drum herum, unangenehme Gefühle anzusprechen. Da in der ersten Phase der Therapie der Raum für Vertrauen noch nicht bereitet ist, ist es schwer zu ertragen, belastende  Gefühle anzusprechen. Und doch ist diese Phase eminent wichtig. Denn das zunehmende Offenbaren solcher Gefühle schafft erst die Grundlage für Vertrauen. Ich konnte feststellen, dass es mein Therapeut vermied, sich ein Urteil über mich zu erlauben. Dies war für mich eine neue, wohltuende Erfahrung. Das Vertrauen in meinen Therapeuten wuchs (für die Entwicklung der Therapie war dies sehr bedeutend).

Das fortwährende Reden über mein Gefühlsleben führte schließlich dazu, dass ich darüber immer mehr Klarheit erlangte. Begleitet wurden diese Prozesse vom Therapeuten, indem er das emotionale Erleben in einen Kontext einordnete oder Fragen stellte, deren Antworten mein Wissensspektrum zunehmend erweiterten. Es ist wichtig zu betonen, dass dieses essentielle Wissen nicht vom Therapeuten vorgegeben wurde. Die wertvollen Erkenntnisse kamen zumeist von mir selbst. Zum Ende der Therapie sagte ich zu meinem Therapeuten: „Sie mussten ja ganz schön oft die Klappe halten…“ Er stimmte mir zu und wies darauf hin, dass nur der selbständige Erkenntnisgewinn des Klienten substantielle Veränderungen schafft. Ich sehe es rückblickend genauso. Trotzdem liegt die Stärke einer Psychoanalyse auch in der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Klient.

Mit Fortschreiten der Therapie erweiterte sich die Gefühlslandkarte. Es wurden Bereiche freigelegt, die schon seit langem unbehandelt (aufgrund der emotionalen Überforderung, die damit einherging) dalagen.

Sigmund Freud begründete die Theorie der Psychoanalyse um das Jahr 1890. Diese besagt, „dass der Mensch sich selbst nicht gut kennt. Dass er oft keine Ahnung davon hat, warum er tut, was er tut, denkt, was er denkt, und fühlt, was er fühlt. Er ist nur selten Herr im eigenen Haus, seine unbewussten, triebhaften Anteile kommen ständig mit verinnerlichten sozialen Normen ins Gehege und führen zu Konflikten.“ Das Unbewusste „entscheidet mit darüber, mit welchem Selbstbild man durch die Welt geht. Ob man sich in guten oder schlechten Beziehungen wiederfindet, ob man scheitert oder erfolgreich seinen Weg geht.“ ¹

Wenn Situationen der Vergangenheit, die zu einer Überforderung geführt haben, nicht aufgearbeitet werden, können sie auch im Erwachsenenalter belastend sein, da ein konstruktiver Umgang nicht erlernt wurde. Man verbleibt teilweise in unbewältigten, kindlichen Mustern, die dann wiederholt in belastenden Situationen des aktuellen Lebensalltags auftreten können – und  verhält sich dementsprechend fortlaufend unreif und destruktiv. In der Psychoanalyse können solche Muster zutage gefördert und beleuchtet werden. Die Auseinandersetzung damit kann sehr schmerzhaft sein und erfordert eine Menge Mut. Wenn in einer Therapie der Schmerz solcher Ursprungssituationen freigelegt wird, entsteht im Idealfall jedoch eine wohltuende Alternative zu der ursprünglichen Situation: Der Schmerz wird durch die Anwesenheit des Therapeuten mitgetragen. Die Belastung der Ursprungssituation wird dadurch gemindert und ein vorschnelles Verdrängen verhindert. Dem Gefühl kann auf den Grund gegangen werden.

Eine Psychoanalyse ist kräftezehrend und fordernd. Meine Erfahrung ist jedoch: Nur wenn man durch die belastenden Gefühle seines Innenlebens konstruktiv durchgeht, findet man einen weniger belastenden Umgang mit ihnen. Zudem ist es eine enorme Erleichterung, wenn der Aufwand, diese Zustände verdrängen zu müssen, gemindert wird.

Belastende Gefühle haben individuelle Ursachen. „Deswegen fragen Psychoanalytiker: Welche Geschichte verbindet sich mit einem Symptom? Wie ist die Persönlichkeit dieses speziellen Menschen aufgebaut, welche Strukturen haben sich in ihm gebildet? Die muss man erst verstehen, bevor sich jemand grundlegend ändern kann.“ ¹ Alleine das Verstehen kann das Erleben solcher Zustände erleichtern. Im zweiten Schritt kann ein verständnisvoller und empathischer Umgang mit solchen Emotionen erlernt werden.

Nächste Schritte in solchen Prozessen können alternative Bewertungen zum eigenen Gefühlserleben, die im Austausch zwischen Therapeut und Klient erarbeitet werden, darstellen. Der destruktive Umgang mit Gefühlen verwandelt sich mit der Zeit langsam in einen konstruktiveren. Der Horizont des eigenen Gefühlslebens erweitert sich, die Handlungsfähigkeit steigt.

Die einzelnen Etappen einer Psychoanalyse sind langwierig. Ein Mensch, der eine Veränderung erleben möchte, benötigt Zeit. Eine Veränderung wird jedoch nicht durch permanente Fortschritte erreicht. Auch Rückschritte haben in der Psychoanalyse ihre Berechtigung.

Wie ein konstruktives Erleben von Emotionen aussieht, ist in der Psychoanalyse nicht vorgegeben. Die Bandbreite der Emotionen kann vielfältig sein: Von Hass bis Freude ist Vieles möglich, was ausgelebt sehr sinnvoll sein kann. Gerade diese Enttabuisierung von Emotionen war in meiner Therapie sehr wichtig. Emotionen, die ich eher selten in meinem Leben bewusst erlebt hatte, konnten im Therapiekontext gelebt werden. Im normalen Lebensalltag erschließen sich solche Räume oftmals nicht. Es erfordert für Therapeut und Klient viel Geduld, sich schwierigen Emotionen behutsam zu nähern.

Die Haltung des Therapeuten gegenüber dem Klienten spielt in einer Psychoanalyse eine bedeutende Rolle. Aus dem Gefühlsleben des Therapeuten erfährt man aus konzeptionellen Gründen recht wenig. Das soll sowohl den Therapeuten als auch den Klienten schützen. Beide sind durch diesen Umstand emotional weniger gebunden, als es in Alltagsbeziehungen der Fall ist. Dem Klienten kann es dadurch leichter fallen, Dinge unbefangen auszusprechen, da er für das Gefühlsleben des Therapeuten keine Verantwortung trägt. Die Empfindungen des Klienten stehen im Fokus der Therapie. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man vom Therapeuten keine Emotionen vermittelt bekommt. Dieser gestaltet im Therapiekontext, bezogen auf das Gefühlsleben des Klienten, eine emotionale Spiegelung: Das Erleben eines lebendigen, stabilen Gegenübers ist für den Klienten sehr wichtig.

Zum Ende der Therapie fiel es mir weitaus leichter, über unangenehme Gefühle zu sprechen. Ich hatte gelernt, meinem Innenleben in einem gesicherten Umfeld Ausdruck zu verleihen. Diese Kompetenzen hatte ich zu Beginn meiner Therapie nicht. Durch die konstruktive Aufarbeitung meines Gefühlslebens veränderten sich die Wertmaßstäbe bzgl. meiner Gedanken und Gefühle. Diese Wertmaßstäbe wurden nicht vom Therapeuten vorgegeben. Dieser teilte zwar seine Einschätzungen mit, drängte sie allerdings nicht auf. Im anfänglichen Stadium der Therapie war ich noch sehr stark von der Wertschätzung meines Therapeuten abhängig und hatte nicht die Robustheit und Klarheit, seiner Meinung zu widersprechen. Doch mit zunehmendem Selbstbewusstsein war ich in der Lage, ihm gegenüber Position zu beziehen. Dies waren kraftraubende Prozesse. Letztendlich führten die Auseinandersetzungen jedoch zu erweiterten Möglichkeiten der Abgrenzung gegenüber meinem Therapeuten. Für  mein Selbstbewusstsein waren diese Auseinandersetzungen wiederum sehr wichtig. Da ich lernte, für meine Wertmaßstäbe Partei zu ergreifen, konnte ich mit zunehmender Dauer diesen vertrauen und es auch gut aushalten, wenn mein Therapeut anderer Meinung war.

Aus einem konstruktiven Meinungsaustausch und meiner erlernten Fähigkeit, Verständnis für mich aufzubringen, hatten sich in mir empathische Fähigkeiten entwickelt, die sich sehr positiv auf das Verhältnis zum Therapeuten auswirkten. Es entstand ein gleichberechtigtes Miteinander, das von Empathie und Respekt geprägt war, aber auch Raum für Auseinandersetzungen bot.

Sofern nach den hier geschilderten langwierigen Prozessen eine persönliche Entwicklung, die zu erhöhter Stabilität führt, stattgefunden hat, kann die Entfaltung der eigenen Bedürfnisse ein weiterer Weg sein, der während einer Psychoanalyse beschritten wird. Individuelle Vorstellungen haben einen Platz. Die eigene Lebendigkeit ist spürbar. Eigenverantwortliches Handeln kann gelebt werden.

In meinem Alltag hat sich die Gestaltungsfähigkeit auf vielen Ebenen verbessert: In schwierigen Situationen ist es mir möglich, die Gefühlslage differenziert zu betrachten und Lösungen für einen sinnvollen Umgang zu finden. Die Bandbreite emotionaler Empfindungen hat sich erweitert. Es fällt mir leichter, die Dinge, die mir viel bedeuten, zu genießen und wertzuschätzen. In einer Gemeinschaft bin ich in der Lage, mich aufgehoben zu fühlen und in zwischenmenschlichen Beziehungen konstruktiv zu handeln. Ich bin bestrebt, sowohl mit mir als auch mit anderen Menschen einen achtsamen Umgang zu pflegen.

Für mich war das Erleben eines neuen Lebensgefühls ein bedeutsames Gefühl der Genugtuung. Der steinige, holprige Weg, den ich in der Therapie gegangen war, hatte sich gelohnt. In mir hatte sich tatsächlich sehr viel zum Positiven verändert. Zu wissen, dass ich diese Veränderung herbeigeführt habe, macht mich stolz. Gleichzeitig hätte ich es nicht ohne meinen Therapeuten schaffen können – was mich wiederum sehr dankbar macht.

Meine geschilderten Erlebnisse stellen dar, wie eine Psychoanalyse ablaufen kann. Diese hat in meinem Fall zu einem positiven Ergebnis geführt. Ob andere Menschen diese Therapieform in ähnlicher Weise erleben würden, kann ich nicht beurteilen.

Ich möchte nicht aussparen, dass eine Psychoanalyse im Lebensalltag große Auswirkungen haben kann. Es ist eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Mir war das Kreisen um das eigene Erleben manches Mal zu viel. Ein weiterer Aspekt, den ich problematisch fand, ist die emotionale Bindung zum Therapeuten, die sich während der Psychoanalyse ergibt. Eine Therapie kann aufgrund der Kontinuität und der Unterstützung des Therapeuten einen Halt im Leben darstellen. Sie kann dadurch allerdings auch zu einer Komfortzone werden, von der man abhängig ist. Während der Therapie habe ich mir oftmals gewünscht, einen emotionalen Abstand zu gewinnen. Dies war jedoch schwer möglich, da die persönliche Entwicklung ständig voranschritt. Eine Psychoanalyse ist wie ein Marathon, der gelaufen wird. Nach dem Zieleinlauf ist man erschöpft. Mit meinem Therapeuten habe ich oftmals lebhafte Diskussionen über die emotionale Intensität und die gelegentliche Überforderung, die ich gespürt habe, geführt.

Bereut habe ich es aber nicht, die Therapie absolviert zu haben. Ich war mit ihrem Verlauf zufrieden. Auch mein Therapeut bestätigte mir eine erfolgreiche Therapie. Über diese Bestätigung habe ich mich sehr gefreut.

Nach Beendigung einer Psychoanalyse greift man während des Alltags im Idealfall auf den in der Therapie erarbeiteten Erfahrungsschatz zurück. Die Abwesenheit des Therapeuten ist zunächst etwas irritierend. Diese kann allerdings in schwierigen Situationen zu einer weiteren Stärkung der Eigenverantwortung führen, wenn die Erfahrung gemacht wird, dass solche Situationen durch die eigene Stärke bewältigt werden können. Letztendlich kann die Unabhängigkeit vom Therapeuten ein Gefühl von Freiheit bedeuten, wenn man Freud und Leid als eigenständige Erfahrungen wahrnimmt und ggf. eigene Lehren daraus zieht. Nach meinem Empfinden kann die Psychoanalyse eine substantielle Veränderung bewirken. Diese Tiefe habe ich in anderen Therapien nicht erfahren. Eine englische Studie von 2015 zeigt, „dass die psychoanalytische Psychotherapie bei chronischer Depression am Ende der Behandlung genauso gut wirkt wie die Verhaltenstherapie. Sie zeigt vor allem aber auch, dass die Stärke der Psychoanalyse in einer enormen Nachhaltigkeit liegt. Während nur zehn Prozent der Patienten in der Verhaltenstherapie zwei Jahre nach Behandlungsende keine Depression mehr hatten, waren es in der Psychoanalyse 44 Prozent, fast die Hälfte.“ ¹

Ich empfand meine Psychoanalyse als eine intensive, anstrengende, spannende, lohnende Erfahrung. Sie war durch eine langsame, stetige Entwicklung geprägt, die letztlich recht subtil ablief und schwer fassbar ist. Ich finde sie faszinierend, sie hat mein Leben bereichert.

 

¹ http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article152795956/Warum-die-Psychoanalyse-ein-Comeback-feiert.html   [16.10.2018]