Risiken und Chancen des Outens – so hieß die Schreibwerkstatt, die ich auf der Jahrestagung des Bundesverbandes der Psychiatrieerfahrenen vom 12. bis 14. Oktober 2018 in Kassel anbot. In einer kleinen Gruppe sammelten wir Stichwörter zum Thema und schrieben kurze Texte dazu, die wir uns gegenseitig vorlasen. Im Gespräch beleuchteten wir die verschiedenen Aspekte, wie es ist, sich zu outen – sprich: einen gesellschaftlich nachteiligen Status öffentlich zuzugeben. Ob auf der Arbeit, ob in Familie, Partnerschaft, Bekanntenkreis oder beim Sport oder im Ehrenamt, immer wieder ist da die Frage, ob ich mich zu meiner Psychose-Erfahrung bekennen soll. Ich habe schon gute Erfahrungen damit gemacht, vor allem in meinem näheren privaten Umfeld. Die schlechten Erfahrungen sind aber nicht weniger: vor allem am Arbeitsplatz oder im kulturellen Ehrenamt. Da hätte ich besser den Mund gehalten oder habe es zum Glück getan. Herabwürdigung, ein Ausnutzen meiner Schwäche, das habe ich schon erlebt.
Im Workshop habe ich Texte verfasst, die das Thema umkreisen, so wie ich es selbst umkreise, unentschieden, mich zu outen oder nicht:
Wie viel Sicherheit brauche ich, um ehrlich zu sein?
Sicherheit kann man nicht voraussetzen. Manchmal ist sie da, z.B. wenn es um meine Wertvorstellungen geht: Ich bin für Toleranz, Vielfalt und Diversität, da gibt es nichts zu rütteln. Aber manchmal fehlt sie auch, die Sicherheit. Wenn ich unter fremden Menschen bin. Oder ich bin mir literarisch unsicher. Den autobiografischen Kern aller meiner Texte halte ich für illegitim, denn der Bekenntniszwang ist für traumatisierte Menschen typisch. Der Mensch ohne Trauma kann aus sich herausgehen, seine Umwelt beobachten. Er landet nicht immer wieder bei seinem unverarbeitetem Selbst. Der Nicht-Traumatisierte kann die Kriterien des Literaturmarktes besser erfüllen. Er kann mit Stoff und Sprache spielen, er kann eine Handlung plotten, ohne von seinen eigenen Ängsten überwältigt zu werden.
Das weiß ich und daher bin ich mir meines literarischen Ansatzes unsicher.
Unsicher, dass die anderen merken können, dass da vielleicht etwas nicht stimmt.
Auf Veranstaltungen unsicher, dass andere stärker sind, klarer, in sich gefestigter als ich.
Weil ich weiß, dass man Erfolgsgeschichten erzählen müsste, von der Warte des Genesenen her, so wie Dorothea Buck, die genesen ist von der Psychose. Ich aber bin nicht geheilt. Ich stecke mittendrin. Und das verunsichert mich.
Wenn das Outen schiefgeht
Auf meiner Arbeit habe ich es durchsickern lassen und letztlich dadurch den Arbeitsplatz verloren. Ich arbeitete viele Jahre als Ausbilderin für eine Lehrstätte, aber die Arbeit machte mir kaum Freude. Sie führte mich auch weit weg vom Wunschberuf einer Schriftstellerin. Nach einer Psychose im Jahr 2010 hatte ich ein „Berufliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) und vertraute mich im Gespräch der Betriebspsychologin an. Das hätte ich nicht tun sollen, denn ich spürte fortan die Herabsetzung meiner Person. Das führte dazu, dass ich mich auf dem Arbeitsplatz noch unwohler fühlte, bis ich ihn schließlich gar nicht mehr ertrug. Was dann kam, dürfen Sie raten.
Outen ist gutgegangen
Bisher bin ich meistens glimpflich davongekommen, weil ich mich nicht geoutet habe. Viele Jahre habe ich in Literaturvereinen ehrenamtlich Lesungen organisiert. In meiner Rolle als lokale Autorin hätte es gestört, die Psychiatrieerfahrung zuzugeben. Es waren einfach andere Themen an der Tagesordnung: die Referenten, die eingeladen, die Texte, die vorgetragen wurden. Ich habe mich nicht hingesetzt und gesagt: „Also hört mal, ich habe eine Psychose“. Was wäre geschehen? Man hätte mein Schreiben als Ausdruck meiner Krankheit verstanden. Meine Bücher wären als „Betroffenheitsliteratur“ abgestempelt worden. Dorthin, wo ich jetzt stehe, wäre ich nie gekommen. Mein Verleger, er ist schwul und er ist Migrant und damit doppelt in der Position einer gesellschaftlichen Minderheit, hat von meinen Problemen nichts gewusst. Er kritisierte nur, dass meine Texte oft zu autobiografisch seien. Nachdem mein erster Roman bei ihm ein wirtschaftlicher Flop wurde, vertraute ich mich ihm an. Er ließ mich nicht im Stich, fiel nicht von mir ab. Im Gegenteil, ich bleibe eine wichtige Autorin für ihn und er ist mir genauso zugetan wie vor meinem Outing.
Ich bin kein Lügner, ich bin kein Mogler, die Menschen sollen mich so erkennen und so wahrnehmen, wie ich bin. Zu mir gehört auch meine Krankheit. Also klar: nur raus damit.
Doch dann ist da die Angst, was die anderen von mir denken.
Die Angst, missverstanden zu werden.
Stigmatisiert mit der blödesten Krankheit der Welt.
Was könnte passieren?
Ich könnte in der Schublade landen. Sie ist eine Kranke, die unbedingt schreiben will. Sie will sich nur selbst offenbaren. Damit verderbe ich mir alle Chancen im Literaturbetrieb.
Oder passiert doch das Gegenteil, wenn ich ehrlich bin? Dass sie sagen: Frau Konrad ist eine Meisterin der autobiografischen Kunst. Trotz ihrer Schizophrenie-Erkrankung beherrscht sie ein vielfältiges Themenspektrum. Und begeistert öffnen sich die Türen des großen Literaturbetriebs. Dann genieße ich den Schutz der fachlichen Anerkennung, die mich über die Schublade hinweghebt. Dann habe ich es mit der Ehrlichkeit geschafft.
Christine Konrad ist Schriftstellerin und Psychose-erfahren. Sie verwendet hier ein Pseudonym.